Pestmond (German Edition)
zurückzubringen wie dieser sich zuvor von der Welt der Lebenden entfernt hatte?
Es wäre immerhin die Wahrheit gewesen.
Oder sollte er ihm sagen, dass er einfach Angst vor dem Moment gehabt hatte, wenn Abu Dun die Augen aufschlug und er ihm sagen musste, welchen Preis der Alte vom Berge für sein Leben gefordert hatte? Er schwieg.
»Einmal ganz davon abgesehen, dass ich es nicht mag, wenn einfach über mich bestimmt wird, ohne mich vorher zu fragen, ist dir doch klar, dass diese Idee vollkommen und absolut wahnsinnig ist, oder?«, fragte Abu Dun. Er versuchte sich weiter auf dem Diwan aufzusetzen, der einen Gutteil des bescheidenen Platzes einnahm, den das Zelt bot, aber seine Kräfte reichten noch nicht. Andrej kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er immer noch mehr tot als lebendig war – was in diesem Moment möglicherweise mehr war als nur ein billiges Wortspiel. Er war dem Tod näher gekommen als jemals zuvor, vielleicht näher als irgendein anderer Mensch vor ihm, und er hatte es noch lange nicht überwunden. Andrej war nicht einmal sicher, ob er es jemals ganz überwinden würde.
»Der weiße Sahib zieht es also vor, dem dummen Mohren nicht auf diese lästige Frage zu antworten?«
Andrej zwang ein Lächeln auf sein Gesicht. »Endlich hörst du dich wieder an wie der Abu Dun, den ich kenne, Pirat.«
Abu Dun blieb ernst. »Bist du denn sicher, dass du mich jemals wirklich gekannt hast, Hexenmeister?«, fragte er. »Ich bin kein Mörder, den man kaufen kann.«
»Ich habe nicht vor, diesen Mord -«
»– wirklich zu begehen?«, fiel ihm Abu Dun ins Wort. »Natürlich nicht. Schon weil es unmöglich ist. Bei Allah, Hexenmeister, der Papst! Was hast du dir dabei gedacht? Ein Herumtreiber aus Siebenbürgen und ein schwarzer Sarazene? Wir kämen nicht einmal in seine Nähe!«
»Hasan hat einen Plan«, behauptete Andrej. Wenigstens hoffte er es. Er selber hatte nämlich keinen und war insgeheim schon längst zu demselben Schluss gekommen wie Abu Dun: dass es unmöglich war.
»Der ganz zweifellos funktionieren wird, weil er ja der Alte vom Berge ist und Papst Clemens ein Dummkopf, der in seinem Gottvertrauen nicht einmal auf die Idee käme, dass ihm jemand nach dem Leben trachten könnte.« Abu Dun schnitt Andrej mit einer zornigen Geste seiner einzigen verbliebenen Hand das Wort ab, als er protestieren wollte, und der Zorn in seinem Gesicht wich Traurigkeit. »Aber darum geht es doch gar nicht.«
»Sondern?«, fragte Andrej.
»Dass du diese Frage überhaupt stellst«, antwortete Abu Dun. Erneut versuchte er sich aufzusetzen, und jetzt gelang es ihm sogar, wenngleich er sich dabei ungeschickt auf seinen Armstumpf stützte und prompt eine schmerzhafte Grimasse zog. »Ich war tot, Andrej. Ich meine wirklich tot, ganz und vollkommen und endgültig und nicht nur ein bisschen.«
»Und ich habe einen Weg gefunden, um dich zu retten. Aber du musst mir jetzt nicht für den Rest deines Lebens dankbar sein, keine Sorge.«
»Und wer sagt dir, dass ich gerettet werden wollte?«, fragte Abu Dun. »So?«
»Du wärst lieber tot?«
»Statt noch einmal dreihundert Jahre an deiner Seite verbringen zu müssen? Du stellst diese Frage nicht im Ernst, oder? So lang kann die Ewigkeit gar nicht sein!«
Andrej blickte ihn einfach nur an, bis er wohl einsah, dass dies nicht der rechte Moment für seine üblichen Scherze war, und das spöttische Funkeln aus seinem Blick verschwand.
Möglicherweise lag es aber auch daran, dass er sich erneut auf seinen Armstumpf stützte. Ein gepeinigter Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Verdammt noch mal, warum muss es so wehtun?«, beschwerte er sich. »So sehr hat es noch nie geschmerzt!«
»So lange hattest du auch noch nie eine offene Wunde«, antwortete Andrej. »Jedenfalls nicht, seit wir uns kennen.«
Abu Dun warf ihm einen feindseligen Blick zu und betrachtete dann missmutig das schwarze Tuch, das sich da befand, wo eigentlich seine rechte Hand anfangen sollte. Ob aus Zufall oder aus einem obskuren Gefühl von Ästhetik heraus, Hasans Arzt hatte einen schwarzen Verband benutzt, der sowohl zu Abu Duns Haut als auch der Farbe seiner Kleidung passte. Die Wunde begann bereits zu verheilen und war mit einer dünnen und noch helleren Hautschicht überzogen – Andrej hatte sie sich gründlich angesehen –, doch er merkte dem Nubier an, wie sehr ihm die Wunde immer noch zu schaffen machte. Abu Dun war es nicht gewohnt, länger als ein paar Augenblicke verletzt zu sein. Keiner von
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