Pestmond (German Edition)
hielt. Die Straße war jedoch leer, auch wenn das sicher nicht lange so bleiben würde. Andrej hörte bereits Schreie und die Schritte zahlreicher sich nähernder Menschen. Wenigstens hoffte er, dass es Menschen waren.
»Hasan.« Andrej streckte die Hand aus, schlang den Arm um die schmale Hüfte des alten Mannes, der vor Schreck aufkeuchte, und folgte Ali in die Tiefe. Obwohl Andrej das Gewicht Hasans so gut abfederte, wie es ihm möglich war, schlugen seine Zähne mit einem scharfen Klacken aufeinander, und auf seiner Unterlippe war plötzlich Blut zu sehen. Andrej maß ihn mit einem besorgten Blick. Bisher hatte Hasan sich erstaunlich gut geschlagen. Zweifellos war er imstande, sich trotz seines hohen Alters noch erstaunliche Leistungen abzuverlangen, doch später würde er dafür bezahlen müssen, das war Andrej klar. Und vielleicht einen höheren Preis, als er zahlen konnte.
Gerade wollte er sich nach seinem Befinden erkundigen, da drang aus dem Haus hinter ihnen ein weiterer dumpfer Schlag, fast unmittelbar gefolgt von einem anhaltenden Poltern und Krachen, und nur einige Augenblicke später flog die Tür hinter ihnen auf, und Abu Dun stolperte ins Freie. Sein Mantel war über und über mit rotem Ziegelstaub bedeckt, und der kleine Finger seiner eisernen Hand war verbogen.
Hinter ihm stürzte eine Handvoll Assassinen auf die Straße – nicht so viele, wie es sein sollten, dachte Andrej erschrocken – und unmittelbar hinter diesen torkelte die erste untote Kreatur. Abu Dun beförderte sie mit einem Fußtritt ins Haus zurück, warf die Tür zu und stemmte das Knie dagegen, um sie zuzuhalten. »Nett, dass ihr gewartet habt. Aber jetzt sollten wir gehen. Ich mag Besuch, aber nicht so viel.«
»Aber auf der anderen Seite ist keine Tür«, murmelte Hasan verstört.
»Ich habe mir eine gemacht«, erwiderte Abu Dun. »Und jetzt verschwindet endlich! Ich kann sie aufhalten, aber nicht für lange!«
Wie um seinen Worten noch zusätzliches Gewicht zu verleihen, begann die Tür jetzt immer heftiger unter einem Trommelfeuer von Faustschlägen und scharrenden Fingernägeln zu erbeben. Abu Dun hielt sie ohne besondere Mühe weiter zu, aber irgendwann mussten die morschen Bretter in Stücke brechen. Und nun sprangen auch auf dieser Seite die ersten Toten vom Dach. Hasans Krieger sorgten zwar dafür, dass nicht einer von ihnen wieder aufstand, aber wie lange würde es dauern, bis sie erneut in Scharen über sie herfielen?
Nicht lange genug, entschied Andrej und tauschte einen neuerlichen, knappen Blick mit Ali, diesmal von einer fast unmerklichen Kopfbewegung begleitet. Ali ergriff seinen Herrn wortlos am Arm, was Hasan offensichtlich so verblüffte, dass er die ersten Dutzend Schritte keinen Widerstand leistete. Dann blitzte Ärger in seinen Augen auf, auch wenn es ein eher gutmütiger Zorn zu sein schien, von der Art, wie sie ein Vater einem ungehorsamen Sohn gegenüber empfindet, dem er nicht wirklich gram sein kann. »Wir drei müssen uns unterhalten«, sagte er.
»Aber zuerst einmal sollten wir dafür sorgen, dass wir es noch können«, gab Andrej zurück. Täuschte er sich, oder sah er tatsächlich die Andeutung eines Lächelns in Alis Augen? Kaum, schloss er. Er musste sich wohl geirrt haben.
Wie er es erwartet hatte, gab die Tür nach, noch bevor sie das Ende der schmalen Gasse erreicht hatten. Ali griff sein Schwert fester, stellte sich schützend vor seinen Herrn und machte eine befehlende Geste mit der anderen Hand, woraufhin sich die Assassinen zu einem Kreis um den Alten vom Berge und ihn formierten. Ihre Zahl war nahezu auf die Hälfte zusammengeschmolzen, und Andrej fragte sich, wie viele von ihnen es wohl noch zurück in die Zitadelle schaffen würden.
»Beschützt Hasan!«, sagte Ali. »Ganz egal was mit mir oder den anderen geschieht, ihr bleibt bei ihm.«
»Seit wann erteilt uns dieser Bursche denn Befehle?«, maulte Abu Dun.
»Seit sein Herr dein Leben in der Hand hält«, antwortete Andrej. »Besser gesagt in einer kleinen Flasche.«
»Von der ich zufällig weiß, wo er sie aufbewahrt«, sagte Abu Dun. Andrej sah ihn überrascht an und bekam ein Nicken zur Antwort. »Manchmal zahlt es sich aus, den tumben Mohren zu spielen.«
»Und wie lange würde der Inhalt dieses Fläschchens reichen?«, fragte Andrej.
Abu Dun zog eine Grimasse, als hätte er auf einen Stein gebissen, den er für eine weiche Feige gehalten hatte. »Du passt auf den Alten auf! Und ich auf dich!«
Kapitel 13
A ls das Tor
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