Pestmond (German Edition)
hinter ihnen geschlossen wurde, war ihm, als würde ein Sargdeckel zugeschlagen. Andrej glaubte nicht, dass sie noch einmal lebend hier herauskamen. Zumindest nicht lebend im eigentlichen Sinne.
Abu Dun hatte sich wortlos umgedreht und half den beiden Assassinen, einen schweren Riegel vorzulegen, der den zehn Fuß hohen Türflügel zusätzlich sicherte, sodass es schon einer Kanone bedurft hätte, um ihn gewaltsam zu öffnen. Andrej schob endlich den Saif in die kostbare Scheide an seinem Gürtel zurück und eilte ohne ein Wort die schmale Treppe zum Wehrgang hinauf. Auf dem Weg durch den Basar hatte er die Waffe nicht mehr gebraucht, denn obwohl die unheimliche Armee aus lebenden Leichnamen ihnen mit der Beharrlichkeit einer Naturgewalt gefolgt war, war sie in dem Labyrinth aus Wagen, Verkaufsständen und Zelten auf dem großen Platz rasch zurückgefallen. Die Kreaturen mochten unaufhaltsam sein, aber sie waren auch langsam.
Schließlich trat er auf den Wehrgang hinaus, der vor Jahrhunderten einmal ebenso prachtvoll wie trutzig gewesen sein mochte. Die Farben der Hurde, die sich einst zu beiden Seiten der Zinnenkrone gestreckt hatte, um jeden Angreifer zu verhöhnen, waren abgeblättert, die kunstvollen Schnitzereien von der Zeit fast bis zur Unkenntlichkeit weggeschmirgelt, und ein Großteil der Zinnen ragte wie ein faulendes Riesengebiss in den Himmel hinauf. Andrej erinnerte sich auch noch zu gut an den Geruch von morschem Holz und das erbärmliche Quietschen der verrosteten Angeln. Diese Festung war längst keine Festung mehr. Einem ernsten Angriff würde sie nicht einmal eine Stunde trotzen.
Doch dann sagte er sich, dass es nicht der Ansturm eines Heeres mit Kanonen und Musketen war, den sie erwarteten. Der Feind, der dort unten lauerte, war auf seine Art gefährlicher als jede moderne Armee, aber zumindest für den Moment waren sie hinter den dicken Mauern der Zitadelle in Sicherheit, ganz egal, wie viele Jahrhunderte alt sie auch waren.
Aber was war mit der Stadt? Andrejs Blick tastete über die dunklen Dächer der Häuser, die tief unter ihm die Zitadelle an drei Seiten umgaben wie ein Heer aus Schatten, das diese Insel des Lebens belagerte. Etwas war dort unten. Vielleicht die Untoten, die nun doch zu ihnen aufgeschlossen hatten und bald damit beginnen würden, mit ihren kalten Fingern an den Mauern zu kratzen, vielleicht auch etwas anderes, das sich selbst seinen scharfen Sinnen entzog. Was immer es war, es schien seinen Blick aufzufangen und zurückzuwerfen, lauernd und höhnisch. Vielleicht bildete er es sich auch nur ein. Nach dem, was sie eben erlebt hatten, konnte er diese Möglichkeit nicht ganz von der Hand weisen. Doch seine Sinne hatten ihm schon oft Dinge gezeigt, die den meisten anderen verborgen blieben, und nur sehr selten hatten sie ihn getäuscht.
Sein Blick irrte weiter und drohte sich in der gestaltlosen Dunkelheit zu seinen Füßen zu verlieren, bis er schließlich das flackernde Rot und Gelb des Feuers suchte, wie die Hand eines Ertrinkenden, die selbst nach einem Stück brennendem Treibholz griff, um sich daran festzuklammern.
Der Brand hatte sich ausgebreitet und vermutlich längst den gesamten Straßenzug ergriffen, aber doch nicht so weit, wie er es insgeheim befürchtet hatte. Vielleicht hatten es die Anwohner doch irgendwie geschafft, das Feuer unter Kontrolle zu bekommen. Oder sie hatten einfach nur Glück gehabt. Andrej meinte, Schatten zu erkennen, die sich hektisch vor den Flammen hin und her bewegten, doch das konnte ebenso gut das Feuer sein, das ihm diese Bewegung vorgaukelte. Etwas, das er so dringend sehen wollte, dass er es schließlich auch tat.
Schritte näherten sich. Andrej erkannte sie als die Alis und drehte sich nicht zu ihm herum, sondern sah weiter auf den Platz hinaus, immer noch ohne wirklich etwas zu erkennen, und auch jetzt wieder mit dem unheimlichen Gefühl, dass da irgendetwas war, das sein Starren erwiderte.
»Mein Herr verlangt nach dir«, sagte Ali, nachdem er einen kurzen Moment lang vergeblich darauf gewartet hatte, von Andrej zur Kenntnis genommen zu werden, trat dann neben ihn und blickte konzentriert nach unten. Andrej warf ihm einen verstohlenen Blick von der Seite zu. Der Ausdruck plötzlicher Sorge auf Alis Zügen entging ihm nicht. Offenbar sah er noch etwas anderes dort unten als er selbst.
»Und was will er von mir, dein Herr?«, fragte er schließlich, statt die Frage zu stellen, die ihm eigentlich auf der Zunge lag.
»Das wird er
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