Pestmond (German Edition)
dir selbst sagen«, antwortete Ali, ohne dass sein Blick die brodelnde Schwärze losgelassen hätte, die gegen die Mauern unter ihnen drückte. »Ich bin nur sein Diener, dem es nicht zusteht, seine Entscheidungen zu hinterfragen.«
»Lass das!« Andrej trat einen halben Schritt von der Mauer zurück, auf einmal von dem unheimlichen Gefühl ergriffen, dass ihm etwas Schlimmes widerfahren könnte, wenn er sich dem körperlosen Starren zu lange aussetzte.
»Was?«
»Abu Dun nachmachen zu wollen. Er meint es nicht ernst, und du kannst es nicht.« Irgendwie gelang ihm sogar die Andeutung eines Lächelns, aber nur für den einzelnen Augenblick, den er brauchte, um zu begreifen, dass Ali keineswegs gescherzt hatte.
Ohne ein weiteres Wort bedeutete er ihm vorauszugehen und folgte ihm dann schweigend und in zwei Schritten Abstand die schmale Treppe hinab. Erst als sie den Hof überquerten, schloss er wieder zu Ali auf und berührte ihn sacht am Arm, damit er langsamer ging. Ali machte eine unwillige Bewegung, als wollte er sich losreißen, obwohl er ihn gar nicht festgehalten hatte, minderte aber trotzdem sein Tempo.
»Bevor ich mit deinem Herrn rede«, sagte Andrej, die beiden Worte betonend, »wirst du mir sagen, was wir dort draußen gerade erlebt haben.«
»Selbst wenn ich es könnte, stünde es mir nicht zu«, antwortete Ali, »aber ich kann es nicht. Ich weiß kaum mehr als du über das, was uns da zugestoßen ist.«
»Kaum mehr ist immer noch mehr als gar nichts«, sagte Andrej, ohne sich allzu große Hoffnungen auf eine klare Antwort zu machen.
»Hasan wird dir alles sagen, was du wissen musst.«
»Aber alles, was ich wissen muss, ist nicht alles, was es zu wissen gibt?«, vermutete Andrej.
Anders als Abu Dun ließ Ali sich auf diese Art von Wortspiel nicht ein, sondern bedachte ihn nur mit einem verwirrten Blick und beschleunigte seine Schritte wieder, kaum dass sie das Haus betreten hatten. Er eilte die Treppe zum großen Saal so schnell hinauf, dass Andrej sich sputen musste, um mitzuhalten.
Aufgeregte Stimmen wiesen ihnen den Weg, eine davon ganz eindeutig die Aylas. Andrej konnte nicht verstehen, worum es ging, aber sie klang wütend, und als sie sich der Halle näherten, kam ihnen das Mädchen mit wehenden Kleidern entgegengestürmt und wäre in seiner Hast beinahe mit Ali zusammengestoßen. Im letzten Moment wich sie ihm aus, bedachte ihn mit einem Blick, unter dem selbst eine Medusa zu Stein erstarrt wäre, und stieß ein einzelnes Wort in einer Sprache hervor, die Andrej nicht verstand, aber es hörte sich nicht freundlich an. Normalerweise hätte Andrej wohl mit einem Lächeln reagiert, jetzt ließ der kleine Zwischenfall seine Alarmglocken anschlagen. Er wusste heute kaum mehr als am ersten Tag über die Beziehung zwischen Hasan und dem Mädchen, aber er glaubte, dass der Alte vom Berge so vernünftig war, nicht gerade jetzt einen Familienstreit vom Zaun zu brechen.
»Geh ihr nach, und sorg dafür, dass sie nicht noch mehr Schaden anrichtet!« Hasan war in der Tür erschienen und winkte Andrej zu sich, noch bevor Ali herumgefahren war und hinter dem Mädchen hereilte, um seinem Befehl nachzukommen. »Andrej.«
»Welchen Schaden?«, fragte Andrej misstrauisch.
»Kinder.« Hasan seufzte tief und winkte noch einmal herrisch. Eigentlich ein Grund, nicht darauf zu reagieren, dachte Andrej, kam dann aber wieder zu dem Schluss, dass dies nicht der Moment für solche Empfindlichkeiten war.
»Du wirst mir eine Menge Fragen beantworten müssen, Hasan«, sagte er, während er dem Alten vom Berge in den Saal folgte.
»Alle, die dir nur einfallen, soweit ich dazu in der Lage bin«, antwortete Hasan. »Aber nicht jetzt. Uns bleibt nicht viel Zeit. Dein Freund ist schon in euer Zimmer gegangen und packt eure Sachen.«
»Warum? Hast du nicht gesagt, dass wir erst bei Sonnenaufgang auslaufen?«
»Ich habe meine Pläne geändert. Aus gegebenem Anlass, wie du dir vielleicht denken kannst.« Hasan dirigierte ihn heftig gestikulierend zum Fenster. »Ich möchte dir etwas zeigen. Komm!«
Die Halle lag noch ein Stück höher als der Wehrgang, sodass sie einen ebenso guten Blick über den Platz und das Händlerviertel hatten, und Andrej sah, dass das Feuer tatsächlich kleiner geworden zu sein schien. Außerdem hatte sich der Wind gedreht.
»Und?«, fragte er.
»Es sieht so aus, als bekämen sie das Feuer in den Griff«, sagte Hasan. »Aber das wird ihnen nichts nutzen, fürchte ich.«
Er machte eine
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