Pestmond (German Edition)
dauern.«
Ohne eine weitere Erwiderung abzuwarten, bedeutete er den Männern, das Boot im Gleichgewicht zu halten, griff mit der gesunden Hand nach der Bordwand und ließ sich ins eisige Wasser gleiten, ohne den geringsten Laut von sich zu geben. Doch Andrej hörte, wie er mit den Zähnen knirschte.
Er selbst gewann noch einen kostbaren Augenblick damit, sich noch einmal zur Küste umzudrehen und die Stadt zu suchen. In der Nacht und zu dieser fortgeschrittenen Stunde fiel es ihm fast schwer, sie von den dräuenden Schatten der Küstenlinie zu unterscheiden. Er hätte den lodernden Schein einer verheerenden Feuersbrunst erwartet, sah jedoch lediglich einen blassroten Schimmer in schwer zu bestimmender Entfernung. Anscheinend war es den Leuten in Jaffa tatsächlich gelungen, das Feuer unter Kontrolle zu bekommen. Aber das war nur ein schwacher Trost. Dann würde die Armee der lebenden Toten eben eine intakte Stadt übernehmen.
»Wenn der Weise Sahib dann so weit wäre«, sagte Abu Dun. »Leider herrscht ein gewisser Mangel an trockenem Feuerholz, sonst würde Euer unwürdiger Diener gerne versuchen, das Wasser auf eine angenehme Temperatur vorzuwärmen.«
»Warum schwimmst du nicht voraus und siehst nach, ob da jemand ist, den du endgültig zu Tode quatschen kannst?«, knurrte Andrej, schlüpfte ebenfalls aus seinem Mantel und ließ sich ins Wasser gleiten – das tatsächlich noch kälter war, als er gefürchtet hatte. Wie Hasans Krieger das überlebt hatten, ganz zu schweigen davon, wie sie es schafften, sich an Seilen und Stoffstreifen festzuklammern und zu schwimmen, war ihm ein Rätsel.
Abu Dun und er schwammen nebeneinander, während hinter ihnen zwei oder drei Assassinen versuchten, ihre frei gewordenen Plätze im Boot einzunehmen, um der grausamen Kälte zu entkommen. Andrej bezweifelte allerdings, dass es ihnen mit ihren steif gefrorenen Gliedmaßen gelingen würde.
Die restliche Entfernung zu dem Schiff mit dem ihnen inzwischen mehr als vertrauten Schriftzugbetrug vielleicht hundert Fuß oder weniger. Sehr viel länger hätte Andrej auch nicht durchgehalten. Sein Herz schlug so heftig, als versuchte es aus seiner Brust zu springen. Schon auf halbem Wege begannen seine Muskeln zu verkrampfen, und er musste sich mehr und mehr auf das Schwimmen konzentrieren, um die wenigen Züge überhaupt zu schaffen. Neben ihm glitt Abu Dun laut-und schwerelos durch das Wasser, und auf dem letzten Stück schwamm er sogar voraus und streckte Andrej den Arm entgegen, nachdem er mit seiner eisernen Hand Halt am Schiffsrumpf gefunden hatte.
Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit nahm Andrej die Hilfe nicht nur an, sondern empfand eine tiefe Dankbarkeit, während er sich mit der einen Hand am mit Muscheln verkrusteten Rumpf der Pestmond und mit der anderen an Abu Duns Schulter festhielt und darauf wartete, dass die Schwäche verging, die in trägen Wellen durch seinen Körper pulsierte, um dann einer beinahe noch quälenderen Kälte zu weichen. Ihm war, als füllten sich seine Beine langsam mit Blei, das ihn in die Tiefe ziehen würde, und sein Herz schlug jetzt nicht mehr, sondern hämmerte bis in die Zehen-, Finger-und Haarspitzen.
»Ist auch wirklich alles in Ordnung?«, fragte Abu Dun neben ihm. Sein Atem dampfte in der Kälte, und das seidige Rauschen der Wellen nahm seine Worte auf und schien sie um eine Facette zu bereichern, die Andrej Angst machte, ohne dass es einen Grund dafür gab. Als er keine Antwort bekam, fügte Abu Dun hinzu: »Du musst nicht mitkommen, wenn es zu viel für dich wird. Niemand wird es erfahren. Ich kann das auch allein tun.«
Unter allen anderen denkbaren Umständen hätten diese Worte Andrej wütend gemacht. Aber in Abu Duns Stimme war kein Spott zu hören. Er sorgte sich ernsthaft um ihn und so, wie sich Andrej fühlte, mit Recht. Er schüttelte nur müde den Kopf und versuchte die kältetauben Lippen zu einem Lächeln zu verziehen. Ob es ihm gelang, wusste er nicht.
»Jetzt übertreibst du es, Pirat.«
Abu Dun wollte etwas sagen, zuckte dann aber nur mit den Schultern und begann Hand über Hand und mit einem Geschick und einer Schnelligkeit an der Bordwand hinaufzuklettern, die seiner schwerfälligen Erscheinung Hohn sprachen. Andrej sah ihm mit Bitterkeit nach. Normalerweise war er es, der sich schneller bewegte und den Nubier damit aufzog, vielleicht doch den einen oder anderen Zentner zu viel auf den Rippen zu haben. Und Abu Dun war nicht schneller geworden und auch nicht wirklich
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