Pestmond (German Edition)
fiel, mischte sich ein anderer Laut: das mühsame Schlurfen von Füßen, die eine hölzerne Treppe zu ersteigen versuchten.
Abu Dun machte ein eher ärgerliches als besorgtes Gesicht und begann die besudelte Hand an der Hose abzureiben, um sie von Fleischfetzen und Blut und anderen und noch unappetitlicheren Dingen zu reinigen, während er sich einmal im Kreis drehte, um das Deck einer zweiten und dieses Mal sehr gründlichen Inspektion zu unterziehen. Er ging sogar zu einem Kistenstapel im Bug und sprengte ihn mit einem Fußtritt auseinander, womit er aber nur eine erschrockene Ratte aufscheuchte. Dann setzte er ein entschlossenes Gesicht auf und verschwand geduckt unter dem Achterkastell, wo eine Treppe tiefer in den Rumpf hinabführte. Kurz darauf vernahm Andrej eine Folge dumpfer klatschender Schläge und einen Schrei.
Vielleicht bildete er es sich auch nur ein. Seine Gedanken verwirrten sich immer mehr, und er war nicht einmal mehr sicher, ob er tatsächlich das Geräusch der Wellen hörte oder ob es das Raunen und Lachen ferner böser Stimmen war, die über sein Schicksal beratschlagten und ihn verspotteten. Ihm war, als würde Feuer durch seine Adern fließen, aber es war ein seltsam kalter Brand, der ihn nicht verzehrte, sondern ihm etwas viel Schlimmeres antat.
Andrej versuchte dieses Gefühl zu ergründen, doch es gelang ihm so wenig, wie er sich dessen erwehren konnte.
Möglicherweise verlor er kurz das Bewusstsein, denn er hatte plötzlich erneut das Gefühl, die Zeit verloren zu haben, wenn auch sicherlich nicht mehr als einige wenige Augenblicke, so als wäre ein Ruck durch seine persönliche Wirklichkeit gegangen, um die Zeit zwischen dem einen und dem anderen Gedanken einfach zu überspringen.
Oder es war der Ruck, als eine untote Kreatur an seinem Bein zerrte, um es näher an ihre gierig schnappenden Zähne heranzubekommen.
Der Untote war Abu Dun offensichtlich schon begegnet, denn sein Körper war dicht unterhalb der Rippen nahezu halbiert. Doch der Nubier hatte schlampige Arbeit geleistet. Da war noch immer etwas in ihm, das auf grausige Weise Leben zu imitieren versuchte oder doch zumindest die Gier danach. Als die Kiefer sich um Andrejs Fuß schlossen und zubissen, scheiterten sie am zähen Leder des Stiefels, machten sich aber schnappend und geifernd sofort auf die Suche nach einer verwundbareren Stelle.
Andrej war wie erstarrt. Es war nicht der Schrecken, der ihn lähmte oder die Furcht. Er wollte nicht. Etwas machte es ihm unmöglich, Gewalt gegen dieses Ding auszuüben. Schon der bloße Gedanke bereitete ihm Unbehagen. Da war plötzlich etwas Vertrautes, das lautlos in seiner Seele flüsterte, ihn rief und mit einer scheußlichen Verlockung winkte.
Dann war plötzlich Abu Dun da, riss das Ungeheuer von ihm weg und schmetterte es mit solcher Gewalt gegen die Reling, dass es endgültig auseinanderriss und seine Beine und der Unterleib im Meer landeten. Der Rest fiel mit einem nassen Klatschen auf das Deck zurück. Der Kopf rollte herum und starrte Andrej aus erloschenen Augen an, in denen trotzdem noch … etwas war, etwas Grässliches, das weder aus der Welt der Lebenden stammte noch aus der der Toten. Der gebrochene Kiefer öffnete und schloss sich unentwegt, um nach der jetzt unerreichbar gewordenen Beute zu schnappen, wie eine defekte mechanische Puppe, die nicht mehr in ihrem Tun innehalten konnte, bis Abu Dun ihn mit seiner eisernen Faust endgültig zermalmte.
Doch dabei ließ er es nicht bewenden, sondern beugte sich noch einmal vor und riss den Unterarm des Toten ab, bevor er den verstümmelten Torso mit einem Fußtritt ebenfalls ins Meer beförderte. »Tut mir leid«, sagte er. »Den habe ich übersehen. Aber es war der Letzte, keine Sorge. Ich habe das Schiff durchsucht … und auch bis neun gezählt«, fügte er nach einem winzigen Zögern und mit einem schiefen Lächeln hinzu. Vielleicht war ihm der Blick aufgefallen, mit dem Andrej den abgerissenen Arm in seiner eisernen Hand maß. Und ganz gewiss hatte er ihn falsch gedeutet.
»Was soll das?«, fragte Andrej. »Das ist widerwärtig.« Er stemmte sich hoch, Abu Duns ausgestreckte Hand ignorierend.
»Nicht das, was du jetzt vielleicht glaubst«, antwortete der Nubier, »obwohl ich durchaus hungrig bin, das gebe ich zu. Und nein, ich wollte mir auch kein Andenken aufheben, sondern dir etwas zeigen.«
Andrej brauchte zwei Anläufe, um das Schwert in die Gürtelscheide zurückzuschieben. Abu Dun machte, statt seiner
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