Pestmond (German Edition)
Haaresbreite. Als er vor Schreck aufschrie, sog er einen Schwall von so widerwärtig-süßem Verwesungsgeruch ein, dass er würgen musste. Der Panik nahe, versuchte er die Umarmung des Toten zu sprengen und verspürte ein eisiges Entsetzen, als es ihm nicht gelang. Die Kiefer des Toten öffneten sich erneut grotesk weit und schnappten jetzt nach seinem Gesicht. Andrej stolperte mit verzweifelter Kraft nach hinten, warf den Kopf in den Nacken so weit es ging, und begriff zu spät, dass er dem Ungeheuer damit nun seine verwundbare Kehle darbot, doch da landete Abu Duns eiserne Faust mit der Gewalt eines Schmiedehammers im Gesicht des Untoten und zertrümmerte es zusammen mit seinem Schädel. Der Griff des dämonischen Wesens lockerte sich, und es fiel leblos zu Boden, nur einen Augenblick bevor Andrej die Kräfte verließen und er neben ihm auf das Deck sank.
»Bleib hier!«, befahl Abu Dun. »Rühr dich nicht!«
Andrej hätte gerne gelacht, doch ihm fehlte die Kraft.
Hilflos musste er es geschehen lassen, dass Abu Dun ihn unter den Armen packte und zum Mast schleifte, wo er ihn in eine halb sitzende, halb liegende Position aufrichtete. Er wollte etwas sagen, doch eine neuerliche Woge von Übelkeit schnürte ihm die Kehle zu.
»Ich frage dich jetzt nicht, ob alles in Ordnung ist«, sagte Abu Dun ernst. »Bleib einfach hier, hast du verstanden? Ich bin gleich zurück.«
Glaubte er vielleicht, er würde aufstehen und zu Hasan und den anderen zurückschwimmen, weil ihm hier langweilig wurde?, dachte Andrej, fast hysterisch. Er hätte gerne eine entsprechende Bemerkung gemacht, da sah er, wie plötzlich hinter Abu Dun ein verkrüppelter Schatten auftauchte und die Arme nach ihm ausstreckte. Er wollte ihn warnen, doch seine Stimme versagte.
Es war bizarr, aber er konnte tatsächlich sehen, wie Abu Dun die Spiegelung in seinen Augen bemerkte und darauf reagierte. So schnell der Nubier auch sein mochte, das Ungeheuer war schon zu nahe, um ihm noch ausweichen zu können, also fuhr Abu Dun lediglich mit einem Ruck in der Hocke herum und riss die Faust in die Höhe, und statt sich in seinen Nacken zu bohren, schlossen sich die Zähne des Untoten um seine eiserne Faust.
Sie brachen ab.
Alle.
Obwohl ihm seine Gedanken immer rascher entglitten, sah Andrej dieses besondere Detail mit aller Deutlichkeit – vielleicht weil er spürte, wie ungemein wichtig diese Beobachtung war, auch wenn er nicht sagen konnte, warum.
Nicht nur die Zähne der schrecklichen Kreatur zersplitterten und flogen in einer faulig-weißen Explosion aus seinem Mund, auch sein Unterkiefer zerbrach mit einem trockenen Knacken und fiel zu Boden, als Abu Dun seine Eisenfaust mit einem Ruck herumdrehte. Die pure Wucht ließ den Untoten gegen den Mast torkeln, und noch etwas anderes splitterte irgendwo in seinem Körper. Abu Dun sprang hoch und holte aus, um dem Ding den Garaus zu machen, hielt dann aber mitten in der Bewegung inne und packte den Untoten nur mit der gesunden Hand an der Schulter, um ihn auf Distanz zu halten.
Die bizarre Kreatur zappelte und wand sich, um loszukommen und sich wieder auf ihr Opfer zu stürzen, erreichte damit aber nur, dass sich Abu Duns Finger durch ihre modernde Haut gruben und auch ihr Schulterblatt zerquetschten. Etwas an diesem Anblick war ebenso bizarr wie wichtig, doch auch jetzt konnte Andrej nicht sagen, warum.
Abu Dun schien es jedoch ganz ähnlich zu ergehen, denn er drückte den toten Matrosen nur weiter gegen den Mast, ohne zuzuschlagen, fast vorsichtig, um seinen Körper nicht unabsichtlich ganz zu zerstören.
»Jetzt bin ich aber mal gespannt, wie er es anstellen will«, sagte er feixend.
»Was?«, brachte Andrej undeutlich hervor. Ihm war entsetzlich übel, und das lag nicht nur an dem schrecklichen Anblick.
»Mich zu beißen«, antwortete Abu Dun fröhlich. »Eine durchaus interessante Frage, meinst du nicht auch?«
Das gehörte wohl auch zu den Dingen, dachte Andrej, die Abu Dun als einziger Mensch auf der Welt für spaßig hielt. Tatsächlich lockerte er seinen Griff sogar ein wenig, sodass der Untote wieder mehr Bewegungsfreiheit bekam, die er prompt nutzte, um nach seinem Handgelenk zu schnappen oder es wenigstens zu versuchen. Mit nur einem Oberkiefer, dem noch dazu sämtliche Zähne fehlten, war das allerdings ein Ding der Unmöglichkeit.
Abu Dun ließ ihn noch einen Moment gewähren, packte ihn dann mit beiden Händen und warf ihn über Bord. In das gedämpfte Platschen, mit dem er ins Wasser
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