Pestmond (German Edition)
fest, dass die Wunde aufgehört hatte zu bluten. Aber sie hätte gar nicht mehr da sein sollen, und dort, wo er gelegen hatte, war der Sand schwarz und klumpig von seinem Blut. Etwas stimmte nicht.
Und nicht nur mit ihm. Hasan sah eher alarmiert als besorgt oder erschrocken aus, und Ali …
Andrej hatte zwar nicht erwartet, dass der Assassinen-Hauptmann vor Sorge um ihn zerfloss, war aber doch erstaunt, als er jetzt direkt in den Lauf einer Muskete blickte, mit der Ali auf seine Stirn zielte. Hinter ihm standen zwei weitere Assassinen, die dasselbe taten, und auch im Hintergrund bewegten sich Schatten und waren Schritte und das Rascheln von Stoff zu hören. Ihm war wohl noch mehr Zeit gestohlen worden, als er ohnehin glaubte, sodass Hasan und alle seine Krieger zu ihnen gestoßen waren. Andrej musste nicht zu ihnen sehen, um zu wissen, was sie in den Händen hielten.
»Was … soll das?«, fragte er schleppend. Das Sprechen bereitete ihm Mühe. Vielleicht nicht einmal so sehr das Sprechen. Die Worte kamen glatt über seine Lippen, aber sie schienen irgendwo auf halbem Wege von seinem Kopf dorthin ins Stocken zu geraten, als wäre seine persönliche Zeit gespalten und liefe nun verschieden schnell ab.
»Du bist verletzt«, wiederholte nun auch Ali. Andrej war, als würde der Musketenlauf in seinen Händen schwanken, was er sich bei einem Mann wie Ali gar nicht vorstellen konnte, dann ging ihm auf, dass er es war, der vor Schwäche wankte und die Mündung der Waffe jeder seiner Bewegungen unbarmherzig folgte.
Ali zielte auf eine Stelle einen Zoll über und zwischen seinen Augen. Auch ein weniger guter Schütze als der Assassine hätte sich vermutlich anstrengen müssen, um auf diese kurze Distanz nicht zu treffen, und eine massive Bleikugel von der Größe einer Olive, die seinen Schädel durchschlug, würde auch ihn augenblicklich und vor allem endgültig töten. Er wusste, Ali würde abdrücken, wenn er ihm einen Vorwand lieferte, und sei der noch so fadenscheinig.
»Was soll das?«, fragte er noch einmal und diesmal immerhin mit halbwegs fester Stimme.
»Du bist gebissen worden«, sagte Ali erneut. Die Waffe blieb unverrückbar auf seine Stirn gerichtet, doch Ali machte eine knappe Kopfbewegung auf seinen Fuß. Andrej senkte den Blick, um hinzusehen, bevor er nickte. »Jetzt, wo du es sagst … aber gut, dass du mich darauf aufmerksam machst. Ich brauche neue Stiefel.«
»Jetzt ist nicht der passende Augenblick, um Scherze zu machen«, sagte Hasan ernst. »Wie fühlst du dich?«
Statt zu antworten, presste Andrej die Handflächen in den nassen Sand und versuchte aufzustehen. Diesmal ließ Abu Dun es zu, machte aber auch keine Anstalten, ihm zu helfen. Andrej sah in sein Gesicht hinauf und erblickte dort etwas, das ihn beunruhigte. Furcht stand in den dunklen Augen des Nubiers geschrieben, aber auch eine große Entschlossenheit, die ihn schaudern ließ. Vor Jahrhunderten hatten sie einander ein Versprechen gegeben, wie es nur wirklich gute Freunde einander geben konnten, und er las in Abu Duns Blick, dass er immer noch bereit war, dieses Versprechen einzulösen.
»Nicht besonders gut«, antwortete er ehrlich und mehr an Abu Dun gewandt als an Hasan. »Aber wahrscheinlich würde es mir schon ein wenig besser gehen, wenn du mir endlich sagen würdest, was zum Teufel hier eigentlich vorgeht!«
Ali setzte zu einer scharfen Antwort an, doch Hasan brachte ihn mit einer raschen Geste zum Schweigen. »Es ist wohl dein gutes Recht, das zu verlangen. Und ich werde alle deine Fragen wahrheitsgemäß beantworten, das verspreche ich, aber erst wenn wir auf dem Schiff sind. Es ist zu gefährlich, noch länger hierzubleiben.«
»Ihr wollt ihn mitnehmen?«, fragte Ali. »Obwohl er gebissen wurde?«
Hasan sah aus, als ärgerte ihn schon die bloße Frage. »Aus keinem anderen Grund sind wir hierhergekommen, oder?«, sagte er, zwar mit einem Lächeln, aber in hörbar schärferem Ton.
»Das ist wahr, aber er …«
»Wurde gebissen, ich weiß«, unterbrach ihn Hasan. »Du hast es bereits erwähnt, glaube ich. Aber es ist lange genug her. Sonst hätte er uns diese Frage auch schwerlich beantworten können, nicht wahr?«
»Und jetzt hat er Angst, dass ich mich in ein solches Ungeheuer verwandeln könnte«, vermutete Andrej. »Ich verstehe. Das also ist die geheimnisvolle Krankheit, die so schnell um sich greift.« Er bekam keine Antwort. »Dir ist es nicht in den Sinn gekommen, Abu Dun und mich über diese kleine
Weitere Kostenlose Bücher