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Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ransley
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bereits in der Luft. Vom Schlachtfeld wurden die vernehmlichen Schreie der Männer herübergeweht. Sie riefen nach Gott oder ihren Müttern. Ich konnte nichts tun, doch ich wünschte, ich könnte die Ohren vor den Schreien verschließen, denn sie weckten in mir ein quälendes Gefühl der Mitmenschlichkeit, das ich nicht ertragen konnte. Nicht jetzt. Ich wollte in diesem betäubten, gefühllosen Zustand verharren. Doch dann registrierte mein Verstand inmitten dieses entsetzlichen Chors ein Geräusch der Vernunft – das Wiehern eines Pferdes.
    »Patch!«, rief ich.
    Ich rannte um die Gebäude herum, so schnell mein Bein es zuließ, und fand die Ställe. Im Dämmerlicht war ich sicher, dass es Patch war. Doch als ich näher kam, erkannte ich, dass das Tier schwarz war und mehrere Handbreit größer als meines. Doch es war ein Pferd, und in diesem Moment fühlte ich mich ihm näher als jedem Menschen. Ich stellte den Eimer ab und schnalzte leise mit der Zunge.
    »Ein Pferdedieb bist du also auch noch!«
    Richards entspannter, spöttischer Ton ließ mich erschaudern. Ich wirbelte herum, doch ehe ich mein Messer zücken konnte, war die Spitze seines Schwertes schon an meiner Kehle. Sein Gesicht lag im Dunkeln, die zerfetzten Überreste seines Umhangs hingen über seinem Schwertarm.
    »Ich habe keinen Streit mit Euch, Vater«, sagte ich so ruhig, wie meine Stimme es zuließ.
    Er lächelte und trat in den schmalen Lichtstreifen aus Mondlicht, das durch die Tür hereinfiel. »Du bist ein kluges Kind. Zuerst gibst du vor, Vaters Sohn zu sein, dann Edwards, und jetzt bin ich an der Reihe. Ich habe es dir gesagt, John Lloyd ist dein Vater.«
    »Dann muss er aus dem Grab zurückgekommen sein, um sie zu lieben. Er ging im Sommer zuvor nach Irland und wurde dort getötet.«
    »Das beweist immer noch nicht, dass du mein Sohn bist.«
    »Ich habe die Briefe, die Ihr meiner Mutter geschickt habt. Von den ersten Zeilen über die unsterbliche Liebe bis zu ›hier ist eine Krone, damit du Hure abtreiben kannst‹. Ich habe sie heute Morgen Eurem Vater gezeigt.«
    Er sagte keinen Ton. Die Schwertspitze zielte jetzt auf mein Herz. Die ganze Zeit über achtete ich auf seine Füße, auf sein Gleichgewicht. Sobald er das Gewicht auf den rechten Fuß verlagerte, blieb mir der Bruchteil einer Sekunde Zeit, ehe er mich töten würde. Der Eimer war auf ein Bündel Stroh gefallen. Ich streckte meine Hand danach aus, konnte ihn aber nur mit den Fingerspitzen berühren.
    Die Klinge senkte sich minimal, nur um abrupt wieder angehoben zu werden. »Du lügst. Mein Bruder sagt, du hättest Vater gesucht. Du hast ihn gar nicht gefunden, stimmt’s? Ich habe dich beobachtet. Du wärst nie bei den Spießgesellen gelandet, wenn du ihn gefunden hättest.«
    Ich begann, auf ihn zuzugehen, nicht von der Klinge fort, sondern in sie hinein. Ich hörte auf, seine Füße zu beobachten, und blickte ihm direkt in die Augen. Ich versuchte, der Mensch zu werden, der ich vor dem Schlachtfeld gewesen war. Es war eine Sache, wenn er jemanden damit beauftragte, mich zu töten, etwas anderes, wenn er als Vater seinen eigenen Sohn tötete. Stockend sagte ich ihm genau das.
    »Das liegt daran, dass du zum Pöbel gehörst. Adlige machten so etwas ständig«, sagte er verächtlich. Doch er wich meinem Blick aus, nur um erneut voll schauderhafter Faszination davon angezogen zu werden. Ich konnte die Gedanken fast sehen, die durch seine Augen hinein und wieder heraus zu schlüpfen schienen. Mein Kind. Mein Kind! Ich durfte nicht flehen. Ich durfte nicht betteln. So etwas tat nur der Pöbel. Ich musste es irgendwie schaffen, in seinen Augen nicht länger das Pestkind zu sein. Ich musste zu dem Kind werden, das er vielleicht gewollt hatte. Die ganze Zeit, während ich mich vorwärtsbewegte, wich er zurück bis zur Stallwand. Die Schwertspitze durchbohrte mein Wams, kratzte an meiner Haut, aber er war mir zu nahe, um mir einen tödlichen Stoß zu versetzen.
    »Ich will das Erbe nicht, Vater. Ich will nur …«
    »Nenn mich nicht so!«, schrie er.
    »Tom!«, rief Luke.
    Richard schleuderte mich quer durch den Stall, so dass ich gegen die gegenüberliegende Wand krachte und zu Boden ging. Die Schwertklinge schoss nach vorn wie die Zunge einer Schlange. Ich unterdrückte jeden Drang, die Augen zu schließen, und starrte weiter in seine.
    Im letzten Moment hielt die Schwertspitze inne und verharrte. »Antworte ihm.«
    Ich schluckte, keuchte und brachte einen Moment lang keinen Ton

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