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Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ransley
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genug hatte ich mich in diesem Haus in den Schlaf geweint, aber niemals hatte ich in ihrer Gegenwart Tränen vergossen. Je mehr ich geschlagen wurde, desto entschlossener wurde ich, niemals vor ihnen zu weinen.
    »Was ist los, Tom«, sagte er, »sehe ich da Tränen?«
    »Nein, Sir«, stammelte ich, »nein, Sir«, zog mich in den Schatten zurück und wischte mir mit dem Ärmel übers Gesicht.
    »Du bist ein sonderbares Kind, oder etwa nicht, George?«
    »Aye, Sir«, sagte George mit einem ungestümen Blick auf mich.
    »Hart wie Stein, wenn er gezüchtigt wird, und heult, wenn er gelobt wird.«
    »Ich bin nicht daran gewöhnt, Sir«, sagte ich.
    »Nun, Tom, das mag schon sein. Du warst ziemlich störrisch, als wir dich aufgenommen haben, oder etwa nicht, George?«
    George sah aus, als stünde das Ende der Welt nicht nur kurz bevor, sondern sei bereits eingetreten. »Das war er, Sir. Der störrischste Lehrjunge in der ganzen Stadt. Und wenn ich meine Meinung sagen darf, ist er das immer noch.«
    »Aber er bessert sich, George, er bessert sich.«
    George sagte nichts, aber Mr Black erwartete auch keine Antwort. »Es gab so viel zu tun und so wenig Zeit.«
    Er stocherte in der schwachen roten Glut des Kohlenfeuers, bis ein paar Flammen aufloderten, die sein Gesicht beschienen. Er zählte noch keine vierzig Jahre, doch im flackernden Licht wirkten die Falten in seinem Gesicht wie die eines wesentlich älteren Mannes. Sie hatten sich tief in seine Stirn und Wangen eingegraben wie die Linien in einem fein geschnittenen Holzblock. Er starrte in die Flammen, als hätte er vergessen, dass wir da waren. Ich schob mich näher heran. Als er gesagt hatte, ich sei ein sonderbares Kind, musste ich an Matthew denken, und ich fühlte mich in den Moment zurückversetzt, in dem Matthew ins Feuer geblickt und den Anhänger herausgezogen hatte. Wie konnten so ein undurchsichtiger Hellseher und ein geradliniger religiöser Mann auf genau die gleiche Weise ins Feuer starren, obgleich der eine in die Zukunft und der andere in die Vergangenheit blickte?
    »Du machst dir keine Vorstellung davon, wie viel Böses in deiner Seele war, Tom«, sagte er.
    Ich erschauderte. In diesem Augenblick glaubte ich vollkommen, dass er das Böse in mir entdeckt hatte. Susannah hatte mich nur wegen meines Tricks mit der Bibel für gut gehalten.
    »Wir haben zu Gott gebetet, dass wir es ausrotten können, nicht wahr?«, sagte er zu George.
    »Aye«, erwiderte George, faltete die Hände und sagte mit einem ironischen Unterton, der an Mr Black völlig verschwendet war: »Und wir beten immer noch.«
    »Mehr Böses als du ahnst. Mehr als du dir überhaupt vorstellen kannst!«
    Mit diesen Worten wandte er sich um, sein Gesicht tauchte in den Schatten, und seine Stimme klang plötzlich streng. Der Wechsel von einem fast träumerischen Umgangston kam so unerwartet, dass es nicht nur mich, sondern auch George überraschte. George nahm die Hände auseinander, wandte seine grüblerische Aufmerksamkeit von mir ab und starrte seinen Master mit jenem begierigen Gesichtsausdruck an, den ich einmal bei ihm gesehen hatte, als er an der Tür einem Streit zwischen Mr Black und seiner Frau lauschte.
    »Ich hätte dich nie genommen, niemals, wenn es nicht so schlecht ums Geschäft gestanden hätte. Schlecht? Wir waren dem Untergang nahe.«
    Er nahm den letzten Schluck von seinem Wein, goss nach, trank die Hälfte und wanderte im Raum umher.
    »Selbst dann hätte ich es nicht getan, ich wäre mit eingezogenem Schwanz nach Oxford zurückgekehrt, wenn Merrick mir nicht angeboten hätte, mich auszuzahlen. Merrick!«
    Er spie das Wort aus. Merrick war der Drucker beim The Star in Little Britain. Hastig schluckte er den Wein herunter, als wollte er den Namen seines Rivalen fortspülen. George nickte bedächtig und sah mich an, als würde er zum ersten Mal etwas begreifen, obwohl ich keine Ahnung hatte, was das sein könnte.
    »Das war doch damals, Master, als Ihr … äh, das Geld gefunden habt, um eine neue Druckerpresse zu kaufen, und die neuen Lettern aus Amsterdam.«
    »Geliehen!«, sagte Mr Black scharf, als bereue er seine Enthüllungen bereits. »So und nicht anders. Ich habe das Geld geliehen!«
    Er hatte das Glas schon zur Hälfte an die Lippen gehoben, als er merkte, dass es leer war, und es kam zu einer kleinen Auseinandersetzung zwischen ihm und der Flasche. Energisch stellte er das Glas ab. Sein Blick fiel auf die trocknenden Blätter, die Augen strahlten vor Freude, er

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