Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
der andere.
»Wollte mit einem Messer auf Euch losgehen, Sir.«
»Der kleine Schuft hat mich beleidigt!«
Er verhöhnte mich, verlangte Satisfaktion, setzte die Schwertspitze dicht neben meine Augen und schnitt schließlich mit einer wirbelnden Bewegung meinen Gürtel samt Beutel von meiner Taille.
Ich trat um mich und kämpfte, doch dann brach ich, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, zusammen. Es war der Anblick der Papiere, die in meinen Beutel am Rand des Grabens lagen. Ein Blatt schaukelte zitternd in der dreckigen Pfütze, jene kostbaren Worte, welche die Welt verändern sollten, und schwamm davon.
»Bitte, bitte lasst mich gehen! Nehmt meinen Gürtel, meinen Beutel, was immer Ihr mögt, aber lasst mir die Papiere!«
Der Mann verzog das Gesicht und hob den Beutel mit der Schwertspitze aus dem Abwassergraben. »Was haben wir hier … einen Beutel. Aus dem Leder eines Schweinearschs. Wert?«
Crow grinste. »Zwei Penny.«
Ich spürte den Windzug des Schwerts, die Stelle, an der er meinen Schädel streifte, als er mir die Mütze vom Kopf schlug. Sie drehte sich ein paarmal in der Luft, ehe er sie angewidert auffing.
»Außerdem … eine Mütze der Londoner Lehrjungen. Leicht beschädigt.«
»Ein Farthing.«
»Zwei Penny und ein Farthing!«, rief er in gespieltem Erstaunen. Dann zog er seine Hand über seine Kehle, was ich für einen Teil desselben Scherzes hielt, bis er sich unvermittelt abwandte. Crow packte mich bei den Haaren und riss meinen Kopf zurück.
Ich hing da wie ein Huhn mit verrenktem Hals, zu gelähmt vor Angst, als dass ich hätte um mich treten können. Ich vernahm das klirrende, gleitende Geräusch, mit dem ein Messer aus der Scheide gezogen wurde. Dieser Ton endlich brachte mich dazu, zu kämpfen. Als ich das Messer aufblitzen sah, versuchte ich, den Kopf wegzudrehen, doch der Mann war viel zu stark für mich und riss meinen Kopf noch weiter nach hinten. Flüchtig vernahm ich ein Geräusch, und Crow zuckte zusammen, als ein Milan nach seinem Sturzflug neben uns wieder aufstieg. Die Ratte zwischen seinen Klauen quietschte kurz auf, als das Leben aus ihr gepresst wurde. Während die Ratte die Besinnung verlor, fand ich meine wieder.
Für einen Moment abgelenkt, hatte Crow seinen Griff gelockert und das Messer instinktiv gegen den Milan gerichtet. Mit einem Ruck befreite ich meinen Kopf aus seiner Umklammerung und biss ihn so heftig in die Hand, dass ich spürte, wie ein Zahn wackelte und herausfiel. Er schrie auf und ließ das Messer fallen. Der andere Mann bückte sich, um den Beutel aufzuheben. Er packte mich, aber wie rasend verpasste ich ihm einen Kopfstoß nach dem anderen. Er rutschte auf einem Kuhfladen aus und fiel in den Graben. Seine Schreie wurden erstickt, als er einen Mundvoll von dem Grabeninhalt schluckte.
Ich packte den Beutel mit den kostbaren Zeilen und rannte, wie ich nie zuvor in meinen Leben gerannt war, wobei ich beinahe den Nachtwächter und den Mann umstieß, der auf die Scheune hätte aufpassen sollen.
Hinter mir hörte ich jemanden schreien »Haltet den Dieb!«. Der Nachtwächter versuchte, mich zu packen, aber ich riss mich los, denn es war immer der Lehrjunge, der Schuld hatte, und stürmte in das Labyrinth aus Höfen, Gassen und verwinkelten Durchgängen von Cloth Fair.
3. Kapitel
Die Sorge meines Masters galt zur Gänze der durcheinander geratenen Wörtersuppe, die ich aus meinem Beutel fischte, so dass er meinen Zustand kaum wahrzunehmen schien.
Der kalte, gottähnliche Zorn, von dem ich erwartet hatte, dass er über mich niedergehen würde, richtete sich stattdessen auf die Aufgabe, den Wortbrei aus verschmierten Sätzen in ein ordentliches Octav-Nachrichtenblatt zu verwandeln. Mr Black würde seinen Gott und Mr Pym enttäuschen – und seinem Geldbeutel schaden –, wenn die Rede nicht in den Gasthäusern und Tavernen zirkulierte, in denen sich die ehrbaren Männer diese Woche versammelten.
Wer waren Crow und der Mann mit dem Biberhut? Sie waren keine gewöhnlichen Taschendiebe. Ebenso wenig standen sie im Dienst der Zunft. Man hatte ihnen gesagt, ich sei häufig im Pot zu finden, und dass ich rotes Haar hatte. Aus all dem folgerte ich, dass die Worte, die ich überbracht hatte, wirklich wichtig waren, vielleicht würden sie tatsächlich die Welt verändern, und dass sie mich gejagt und versucht hatten zu töten, um an diese Papiere zu kommen.
Meine Schuldgefühle und mein Elend wuchsen, als Mr Black sich bemühte, in einem
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