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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Kombüse, ein Pumpenhaus. Es roch nach Diesel und Brymol. Fünf Mann verwalteten das Ganze. In der Kombüse trank man immer einen Gin Tonic mit dem Verwalter.«
    Die sentimentale Seite an ihm ist mir neu.
    »Muß schön gewesen sein«, sage ich. »Hat es auch Holzschuhtanz und Ziehharmonikamusik gegeben?«
    Seine Augen werden schmal.
    »Sie irren sich«, sagt er. »Ich spreche von Machtbefugnissen. Und von Freiheit. Damals war der Kapitän oberste Autorität. Wir gingen an Land und nahmen bis auf die Ankerwache die ganze Besatzung mit. Es gab nichts in Færingshavn. Es war nur ein gottverlassenes, ödes Nest zwischen Godthåb und Frederikshåb. Aber in diesem Nichts ging man spazieren, wenn man Lust dazu hatte.«
    Er macht eine Bewegung in Richtung des Pontonsystems vor uns und der Aluminiumbaracken in der Ferne. »Hier gibt es drei zollfreie Geschäfte. Und eine feste Hubschrauberverbindung zum Festland. Hier gibt es ein Hotel und eine Tauchstation. Eine Post. Ein Verwaltungsbüro von Chevron, Gulf, Shell und Esso. In zwei Stunden können sie eine Landebahn montieren, die einen kleinen Jet aushält. Das Schiff da vor uns hat eine Bruttotonnage von 125.000 Tonnen. Hier gibt es Entwicklung und Fortschritt. Aber niemand kann an Land gehen, Jaspersen. Die kommen an Bord, wenn Sie was brauchen. Sie kreuzen Ihre Bestellungen auf einer Liste an, sie kommen mit einer transportablen Rutsche und schieben Ihnen die Ware an Bord. Wenn der Kapitän darauf besteht und an Land will, kommen ein paar Sicherheitsoffiziere, holen ihn an der Gangway ab und halten ihn an der Hand, bis er wieder an Bord ist. Wegen der Feuergefahr, heißt es. Wegen des Sabotagerisikos. Es heißt, daß bei vollen Piers hier insgesamt eine Milliarde Liter Öl liegt.«
    Er sucht nach einer neuen Zigarette, aber die Packung ist leer.
    »Das ist das Wesen der Zentralisierung. Angesichts solcher Maßnahmen sind die Schiffsführer fast verschwunden. Und Seeleute kommen überhaupt nicht mehr vor.«
    Ich warte. Er will etwas von mir.
    »Hatten Sie gehofft, an Land gehen zu können?«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Auch nicht, wenn das die einzige Chance wäre? Wenn das die Endstation wäre? Wenn jetzt nur noch die Heimreise bliebe?«
    Er will wissen, wieviel ich weiß.
    »Wir laden nicht«, sage ich. »Wir löschen nicht. Das hier ist nur ein Halteplatz. Wir warten auf irgend etwas.«
    »Sie raten.«
    »Nein«, erwidere ich. »Ich weiß, wo wir hinwollen.«
    Seine Haltung ist immer noch entspannt. Doch jetzt ist er auf der Hut.
    »Erzählen Sie.«
    »Dafür muß ich dann aber wissen, warum wir hier liegen.«
    Seine Gesichtshaut ist nicht sehr robust. Sie ist ganz weiß und schilfert in der relativ trockenen Luft ab. Er leckt sich die Lippen. Er hat auf mich gesetzt als eine Art Versicherung. Jetzt steht er vor einem neuen, gewagten Vertrag. Das erfordert ein Zutrauen zu mir, das er nicht hat. Ohne ein Wort geht er an mir vorbei. Ich folge ihm auf die Brücke. Ich schließe hinter uns die Tür. Er geht zu dem leicht erhöhten Navigationspult.
    »Zeigen Sie es mir«, sagt er.
    Die Karte ist im Maßstab 1:1.000.000 und zeigt die Davisstraße. Nach Westen reicht sie bis zur äußersten Spitze der Cumberland-Halbinsel. Im Nordwesten ist noch die Küste bei den Großen Heilbuttgründen darauf.
    Auf dem Tisch liegt neben der Seekarte die Vereisungskarte des Eismeldedienstes.
    »Die Treibeisdecke«, sage ich, »liegt in diesem Jahr seit November hundert Seemeilen weit draußen und nicht höher als Nuuk. Das Eis, das der Westgrönlandstrom hinauftreibt, ist aufs Meer hinausgeführt worden und geschmolzen, weil die Davisstraße drei milde Winter gehabt hat und deshalb wärmer ist als normal. Der Strom, jetzt ohne Eis, führt an der Küste entlang. Die Diskobucht hat die höchste Anzahl von Eisbergen pro Quadrateinheit in der Welt. Die letzten beiden Winter hat sich der Gletscher bei Jakobshavn vierzig Meter am Tag bewegt. Das gibt die größten Eisberge außerhalb der Antarktis.«
    Ich lege einen Finger auf die Vereisungskarte.
    »In diesem Jahr sind sie bereits im Oktober aus der Bucht herausgepreßt und an der Küste in einem Ausläufer der Turbulenz zwischen westgrönländischem Strom und Baffinstrom mitgeührt worden. Sogar in den Fjorden sind Eisberge. Wenn wir von hier wegfahren, gibt Tørk uns einen nordwestlichen Kurs, bis wir aus diesem Gürtel heraus sind.«
    Sein Gesicht ist ausdruckslos. Doch seine Konzentration ist die gleiche, die ich am Roulettefilz gesehen

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