Peter Hoeg
in der Tür sehe ich, daß Verlaine und Hansen das Gepäck des Mechanikers nach hinten bringen. Schwarze Kisten, die aussehen wie Instrumentenkoffer, auf Sackkarren. Er muß im Flugzeug Übergewicht gehabt haben. Das ist teuer gewesen. Ich frage mich, wer das wohl bezahlt hat.
2
Wenn man in einem Land wie Dänemark siebenunddreißig geworden und regelmäßig ohne Medikamente ausgekommen ist, keinen Selbstmord begangen und die zarten Ideale seiner Kindheit nicht völlig verraten hat, dann hat man ein bißchen gelernt, mit den Widerwärtigkeiten des Daseins umzugehen.
In Thule maßen wir in den siebziger Jahren mit in meteorologischen Ballons hochgeschickten Geräten supergekühlte Wassertropfen. Sie bilden sich für kurze Zeit in hochliegenden Wolken. Um sie herum ist es kalt, aber ganz still. In einem Hohlraum aus Unbeweglichkeit sinkt ihre Temperatur auf minus vierzig Grad. Sie müßten eigentlich zu Eis gefrieren, tun es aber nicht, sie bewegen sich nicht, bleiben im Gleichgewicht und schweben.
Genauso versuche ich den Widerwärtigkeiten zu begegnen.
Die Kronos ist noch nicht zur Ruhe gekommen. Eine unsichtbare Geschäftigkeit und Bewegung sind spürbar. Doch länger zu warten geht nicht mehr.
Ich hätte durch den Maschinenraum und über das Zwischendeck gehen können. Wenn das nicht mit so vielen klaustrophobischen Erinnerungen verbunden wäre. Ich will sie zumindest sehen, wenn sie kommen.
Das Achterdeck erstrahlt im Licht. Ich hole tief Luft und gehe über die Bühne. Aus den Augenwinkeln sehe ich die Spills und das Geländer um den Mast vorbeigleiten. Dann bin ich beim Achteraufbau und schließe auf. Hinter der Tür bleibe ich an der Scheibe stehen und sehe auf das Deck hinaus.
Hier ist Verlaines Domäne. Selbst jetzt, wo kein Mensch zu sehen ist, ist seine Gegenwart spürbar.
Ich schließe die Tür hinter mir ab. Meine Waffen waren die ganze Zeit über die kleinen Details, von denen niemand etwas weiß. Meine Identität, meine Absicht, Jakkelsens Hauptschlüssel. Daß ich den habe, können sie nicht wissen. Sie müssen glauben, daß es eine Panne war, Nachlässigkeit von ihrer Seite, daß ich das letztemal über das Achterdeck hereingekommen bin. Sie hatten Angst, ich sei einer Sache auf der Spur. Aber von dem Schlüssel können sie nichts wissen.
Im ersten Raum lasse ich den Lichtkegel über dichtgestapelte und vertäute Dosen mit Bleimennige, Grundierfarbe, Schiffsemaille, Spachtelmasse, Spezialverdünner, Kisten mit Filtermasken, Epoxydteer, Pinseln und Rollen streichen. Alles gestapelt, sauber und ordentlich. Verlaines Sorgfalt.
Die nächste Tür ist der Hintereingang einer Toilette. Die Tür gegenüber führt zu einem doppelten Duschraum. Die nächste zur Metallwerkstatt. Wo Hansen seine Messer mit Wiener Kalk poliert hat.
Der letzte Raum ist die Elektrikerwerkstatt. In dem Labyrinth aus Schränken, Regalen und Kisten könnte man einen kleinen Elefanten verstecken, und ich würde eine Stunde brauchen, um ihn zu finden. Aber ich habe keine Stunde. Also schließe ich die Tür und gehe nach unten.
Die Tür zum Zwischendeck ist jetzt abgeschlossen. Und dann noch extra verrammelt. Jemand wollte ganz sichergehen, daß auf diesem Weg niemand hereinkommt. Ich habe meine Lampe nur einen kurzen Moment lang angeknipst. Das ist sicher eine überflüssige Vorsichtsmaßregel. Ich befinde mich in einer fensterlosen Dunkelheit. Aber zu mehr reichen meine Nerven nicht.
Ich bleibe stehen und horche. Ich muß mich zusammenreißen, um nicht in Panik zu geraten. Dunkelheit habe ich noch nie gemocht. Die dänische Gewohnheit, nachts herumzustromern, habe ich nie verstanden. In pechschwarzer Dunkelheit abends Spaziergänge zu machen. Nachtigallenspaziergänge im Wald. Unbedingt die Sterne anschauen wollen. Nachtorientierungsläufe.
Vor der Dunkelheit muß man Respekt haben. Die Nacht ist die Zeit, in der der Weltraum vor Bosheit und Verderbnis kocht. Man kann das Aberglaube nennen, und man kann dazu Angst vor der Dunkelheit sagen. Doch so zu tun, als sei die Nacht wie der Tag, bloß ohne Licht, das ist Dummheit. Die Nacht ist dazu da, daß man, wenn man nicht zufällig allein und zu anderem gezwungen ist, drinnen zusammenrückt.
Im Dunkeln sind die Geräusche handgreiflicher als die Gegenstände. Das Geräusch von Wasser um die Schraube, irgendwo unter meinen Füßen. Das gedämpfte Zischen des Kühlwassers. Der Maschinenlärm, die Ventilation. Der Lauf der Schraubenachse im Achslager. Ein kleiner elektrischer
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