Peter Hoeg
Kompressor, die Richtung ist fast nicht zu bestimmen. Als würde man in einer Wohnung herauszubekommen versuchen, in welcher Nachbarwohnung der Kühlschrank solchen Krach macht.
Auch hier ist es ein Kühlschrank. Ich finde ihn nicht aufgrund des Geräusches. Ich finde ihn, weil mir die Dunkelheit meine Zeichnung klar vor Augen führt. Ich schreite den Korridor ab. Das Ergebnis kenne ich bereits. Aus reiner Nervosität habe ich es bisher nur nicht registriert. Der Korridor ist zwei Meter zu kurz. Irgendwo hinter der abschließenden Wand liegt laut Jakkelsen das hydraulische Rudersystem. Doch das erklärt noch nicht die zwei Meter.
Ich leuchte die Wand an. Sie ist mit demselben Sperrholz verkleidet wie die übrigen Wände. Deshalb habe ich sie vorher nicht gesehen. Doch das Sperrholz ist erst vor relativ kurzer Zeit eingesetzt worden. Von irgendwo hinter der Wand her dringt ein gedämpftes Summen wie von einem Kühlschrank. Die Sperrholzplatte ist angenagelt. Kein sonderlich sorgfältiges Versteck. Nur notdürftig zusammengeschustert. Aber allein könnte ich die Platte nicht entfernen. Auch wenn ich das richtige Werkzeug hätte.
Ich öffne die nächste Tür.
An der Wand stehen die schwarzen Kisten. Grimlot Music Instruments Flight Cases steht darauf. Ich öffne die erste. Sie ist viereckig und sieht aus, als könnte man einen mittelgroßen Hochtöner darin unterbringen.
Der Garantieschein unter den beiden blauen, blanken Flaschen aus emailliertem Stahl lautet auf Self-contained Underwater Breathing Apparatus . Die Flaschen sind in einem Gumminetz, um die Farbe vor Stößen zu schützen.
Ich öffne eine zweite, kleinere Kiste. Der Inhalt sieht aus wie Ventile, die man auf die Flaschen schraubt. Blitzblank. In formgegossenes Schaumgummi eingelassen. Ein Lungenautomat. Aber ein Typ, den ich noch nie gesehen habe. Der auf die Flaschen montiert wird, statt direkt an das Mundstück.
Die dritte Kiste enthält Manometer und Armbandkompasse. In einem großen Koffer mit Griff liegen Brillen, drei Paar Flossen, Edelstahldolche in Gummischeiden und zwei aufblasbare Schwimmwesten, an denen man die Flaschen festmachen kann.
Ein Transportsack enthält zwei schwarze Gummianzüge mit Kapuze und Reißverschluß an Hand- und Fußgelenken. Anzüge aus Neopren. Mindestens fünfzehn Millimeter dick. Darunter zwei wasserdichte Poseidontaucheranzüge. Darunter Handschuhe, Socken, zwei Thermoanzüge, Sicherheitsleinen und sechs verschiedene Batterielampen, zwei davon sind in einen Helm eingebaut.
Ein Kasten sieht aus wie ein Instrumentenkoffer für einen akustischen Baß, ist aber länger und tiefer. Er steht gegen das Schott gelehnt. In dem Kasten ist Jakkelsen.
Er war nicht groß genug für ihn, deshalb haben sie seinen Kopf auf die rechte Schulter gedrückt und die Beine hinter den Oberschenkeln so hochgezogen, daß er jetzt kniet. Seine Augen sind offen. Er hat immer noch meine Jacke um die Schultern.
Ich befühle sein Gesicht. Er ist noch feucht und warm. Die Körpertemperatur eines größeren Tieres sinkt im Sommer, nachdem es erschossen worden ist, in der Stunde um ein paar Grad. Es ist anzunehmen, daß es beim Menschen ähnlich ist. Jakkelsen nähert sich der Zimmertemperatur.
Ich stecke die Hand in seine Brusttasche. Die Spritze ist weg. Aber es ist etwas anderes da. Ich hätte früher daran denken sollen. Metall an sich klirrt nicht. Es klirrt gegen anderes Metall. Ganz vorsichtig bekomme ich mit den Fingern in seiner Tasche ein kleines Dreieck zu fassen. Es wächst aus seinem Brustkasten.
Die Totenstarre breitet sich von den Kaumuskeln nach unten aus. In dieselbe Richtung wie neurotische Spannungen. Er ist steif bis zum Nabel. Ich kann ihn nicht umdrehen, taste aber hinter seinem Rücken und unter der Jacke nach. Unter den Schulterblättern ragt ein Stück Metall heraus, nur ein paar Zentimeter lang, flach und nicht sehr viel dicker als eine Nagelfeile. Oder eine Kaltsägenklinge.
Das Blatt ist zwischen zwei Rippen hineingejagt und von dort schräg nach oben geführt worden. Ich vermute, daß es durch das Herz gegangen ist. Danach ist der Handgriff abgenommen worden, die Klinge jedoch steckengeblieben. Um das Bluten zu verhindern.
Bei einem anderen Menschen wäre die Klinge nicht vorn wieder herausgekommen. Aber Jakkelsen ist ja modisch schlank.
Es muß gerade passiert sein, bevor ich ihn erreicht habe. Möglicherweise, als ich über den Platz ging.
In Grönland hatte ich keine Löcher in den Zähnen, jetzt habe
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