Peter Hoeg
wir beide, daß wir nur wenige Meter von der Deckplattform entfernt stehen, auf der wir vor weniger als vierundzwanzig Stunden darauf gewartet haben, Jakkelsens letzte Reise zu sehen. Das Wissen darum bedeutet nichts Besonderes. Die Liebe kommt aus dem Überfluß, sie verschwindet, wenn man sich dem Instinktiven nähert, dem Hunger, dem Schlaf, dem Bedürfnis nach Sicherheit.
In der Unteretage mache ich das Licht an. Eine Lichtflut im Verhältnis zu dem Kegel der Batterielampe. Vielleicht ist das unvorsichtig. Aber wir haben keine Zeit für etwas anderes. Spätestens in ein paar Stunden sind wir da. Dann wird das Decklicht angemacht, dann werden alle verlassenen Räume bevölkert sein. Wir bleiben vor der Rückwand stehen.
Ich setze alles auf meine Verwunderung: Ich wundere mich, weshalb die Wand meiner Messung zufolge über fünf Fuß vom hydraulischen Steuersystem abgerückt ist. Weshalb irgendwo hinter der Wand eine Art Generator steht.
Ich sehe den Mechaniker an. Plötzlich verstehe ich nicht, warum er mitgegangen ist. Vielleicht versteht er es auch nicht. Vielleicht wegen der Verlockung, die das Unwahrscheinliche immer hat. Ich zeige auf die Tür zur Metallwerkstatt.
»Drüben ist ein Holzhammer.«
Er scheint mich nicht zu hören. Er packt die Leiste, die die Wand abschließt, und zieht sie ab. Er betrachtet die Nagellöcher. Es ist frisches Holz.
Er steckt die Hände zwischen Platte und Schott und zieht. Die Platte gibt nicht nach. Auf jeder Seite sitzen vielleicht fünfzehn Nägel. Da zieht er mit einen harten Ruck und hält die Wand in den Händen. Es ist eine sechs Quadratmeter große, zehn Millimeter dicke Möbelplatte. In seinen Händen sieht sie aus wie eine Schranktür.
Hinter der Tür steht ein Kühlschrank. Er ist zwei Meter hoch, einen Meter breit, aus Edelstahl und erinnert mich an die Milchgeschäfte der sechziger Jahre in Kopenhagen, wo ich zum erstenmal erlebt habe, daß Menschen Energie verbrauchen, um etwas Kalt aufzubewahren. Er ist mit einem Bandeisen gegen die Schiffsbewegungen gesichert, das an die ursprüngliche Hinterwand montiert und mit dem Sockel des Kühlschranks verschraubt worden sein muß. Die Tür hat ein Zylinderschloß.
Er holt einen Schraubenzieher. Er schraubt das Bandeisen ab. Dann packt er den Kühlschrank. Er wirkt unverrückbar. Der Mechaniker entspannt sich und zieht ihn dann einen halben Meter in den Raum hinein. Seine Bewegungen haben etwas Einsichtiges, ein Wissen, daß man sein Äußerstes nur in Bruchteilen einer Sekunde leistet. Er zieht und rückt noch dreimal, und dann steht der Schrank mit der Rückseite zu uns. In seinem Taschenmesser hat er einen Kreuzschraubenzieher. An der Rückwand sitzen vielleicht fünfzig Schrauben. Er drückt das Kreuz in die Kerbe, stützt die Schraube mit dem Zeigefinger der linken Hand und dreht nach links, nicht ruckweise, sondern kontinuierlich. Die Schrauben verlassen die Löcher wie von selbst. Er braucht keine zehn Minuten, um sie alle zu entfernen. Er sammelt sie vorsichtig in einer Tasche und hebt die ganze Rückwand mitsamt Leitungen, Kühlrippen, Kompressor und Flüssigkeitsbehälter ab.
Selbst unter diesen Umständen registriere ich, daß das, was wir sehen, banal und ungewöhnlich zugleich ist. Wir sehen von hinten in einen Kühlschrank. Er ist voller Reis. Von unten bis oben liegen die viereckigen Kartons sorgfältig gestapelt da.
Er nimmt einen Karton, öffnet ihn und hebt den Kochbeutel heraus. Ich denke gerade, daß ich ohnehin nicht viel zu verlieren gehabt habe. Da sehe ich, wie sich seine Gesichtshaut strafft. Ich schaue wieder auf die Tüte, sie ist matt, aber doch halb durchsichtig. Das ist kein Reis. Die Tüte enthält luftdicht verpackt eine Substanz, die dicht und gelblich ist wie weiße Schokolade.
Er klappt eine Messerklinge auf und ritzt die Tüte an. Mit einem kleinen Seufzer saugt sie die Luft an. Ein klumpiges, dunkles Pulver rieselt in seine Hand, das sich anfühlt, als hätte man geschmolzene Butter in den feinen Sand aus einem Stundenglas gegossen.
Aufs Geratewohl wählt er ein paar Kartons aus, öffnet sie, schaut hinein und legt sie sorgfältig zurück.
Er schraubt die Rückwand an und schiebt den Schrank wieder an seinen Platz. Ich helfe ihm nicht, ich kann ihn nicht mehr anfassen. Er bringt das Bandeisen an, drückt die Holzplatte in die richtige Position, holt einen Hammer und schlägt die Nägel in die alten Löcher. Seine Bewegungen sind zerstreut und steif.
Erst jetzt schauen wir
Weitere Kostenlose Bücher