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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Staube.
    Ich versuche die Frauen um Juliane zu scannen, um herauszukriegen, ob eine von ihnen vielleicht schwanger ist. Mit einem Jungen, der Jesajas Namen bekommen könnte. Die Toten leben im Namen weiter. Vier Mädchen wurden nach meiner Mutter Ane genannt. Ich habe sie mehrmals besucht, bei ihnen gesessen und mit ihnen geredet, um durch die Frau vor mir oder hinter ihr einen Blick auf die zu erhaschen, die mich verlassen hat.
    Sie ziehen die Seile aus den Sargösen. Einen kurzen Augenblick lang ist die Sehnsucht wie eine Eifersucht. Wenn sie nur einen kurzen Moment lang den Sarg öffnen und mich neben seinem kleinen, kalten Körper liegenlassen würden, in den jemand eine Nadel gestochen hat, den sie aufgemacht und fotografiert, von dem sie Scheiben abgeschnitten und den sie wieder zugemacht haben – wenn ich nur einmal noch seine Erektion an meinem Schenkel spüren könnte, diese Geste geahnter, endloser Erotik, diesen Flügelschlag von Nachtfaltern an meiner Haut, den dunklen Insekten des Glücks.
    Es friert so stark, daß sie noch warten müssen, bis sie das Grab zuschaufeln können. Als wir gehen, liegt es offen hinter uns. Der Mechaniker und ich gehen nebeneinander.
    Er heißt Peter. Es ist keine vierundzwanzig Stunden her, seit ich seinen Namen zum erstenmal ausgesprochen habe.
     
    Sechzehn Stunden zuvor ist es Mitternacht. Am Kalkbrænderivej. Ich habe zwölf große schwarze Plastiksäcke, vier Rollen Abdeckklebestreifen, vier Tuben Zehnsekundenkleber und eine Maglite -Taschenlampe gekauft. Ich habe die Säcke aufgeschnitten, sie doppelt gelegt und zusammengeklebt. Sie in meine Louis-Vuitton-Tasche gestopft.
    Ich habe hohe Stiefel und einen roten Rollkragenpullover an, einen Seehundpelz von Groenlandia und einen Kiltrock von Scotch Corner. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß sich alles leichter bemänteln läßt, wenn man anständig angezogen ist.
    Was jetzt passiert, ist nicht unbedingt elegant.
    Das gesamte Fabrikgelände umgibt ein dreieinhalb Meter hoher Zaun, den oben einfacher Stacheldraht krönt. Im Kopf geblieben ist mir eine Tür an der Rückseite, zum Kalkbrænderivej und zur Bahn hin. Die habe ich bereits gesehen.
    Nicht gesehen habe ich dagegen das Schild, das verkündet, daß hier die Dänische Schäferhundzentrale Wache hält. Das braucht nichts zu bedeuten. Man hängt ja so viele Schilder auf, die nur den Zweck haben, die gute Stimmung aufrechtzuerhalten. Ich trete also versuchsweise gegen die Tür. Es vergehen keine fünf Sekunden, da steht ein Hund hinter dem Gitter. Es ist möglicherweise ein Schäferhund. Er sieht aus wie etwas, das vor der Tür gelegen hat und an dem sich die Leute die Füße abgetreten haben. Vielleicht erklärt das seine schlechte Laune.
    Es gibt in Grönland Leute, die gut mit Hunden können. Meine Mutter zum Beispiel. Bevor in den siebziger Jahren die Nylonschnüre üblich wurden, benutzten wir als Zugleinen Koppelriemen aus Seehundfell. Die anderen Hundegespanne fraßen ihre Riemen. Unsere Hunde rührten sie nicht an. Meine Mutter hatte ein Verbot ausgesprochen.
    Dann gibt es Leute, die werden mit der Angst vor Hunden geboren und überwinden sie nie. Zu denen gehöre ich. Ich gehe also zum Strandboulevard zurück und nehme ein Taxi nach Hause.
    Ich gehe nicht zu mir hoch. Ich gehe zu Juliane. Aus ihrem Kühlschrank hole ich ein halbes Kilo Dorschleber. Die Leber, die aufgeplatzt ist, bekommt sie von einem Freund vom Fischmarkt gratis. In ihrem Bad kippe ich mir ein halbes Glas Rohypnoltabletten in die Tasche. Die hat sie erst vor kurzem von ihrem Arzt bekommen. Sie verkauft sie. Rohypnol ist unter Junkies eine gängige Ware. Das Geld nimmt sie für ihre eigene Medizin, die der Zoll banderoliert.
    In Rinks Sammlung gibt es eine Geschichte aus Westgrönland von einem Schreckgespenst, das nicht einschlafen kann, sondern in alle Ewigkeit wachen muß. Das hat bloß noch nie Rohypnol genommen. Beim erstenmal versenkt einen eine halbe Tablette in ein tiefes Koma.
    Juliane läßt es zu, daß ich mich verproviantiere. Sie hat fast alles aufgegeben, auch, mir Fragen zu stellen.
    »Du hast mich vergessen!« ruft sie mir hinterher.
    Ich nehme ein Taxi zurück zum Kalkbrænderivej. In dem Auto wird es später nach Fisch riechen.
    Ich stehe im Licht unter dem Viadukt zum Freihafen und drücke die Tabletten in die Leber. Jetzt rieche ich selber nach Fisch.
    Diesmal brauche ich den Hund nicht zu rufen. Er wartet schon und hat darauf gehofft, daß ich zurückkomme. Ich werfe die

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