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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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betrachtet. Ein explosiver Mensch. Ich fasse einen Entschluß.
    »Smilla Jaspersen«, sage ich. »Und das ist Kapitän und Dr. phil. Peter Føjl.«
    Der Mechaniker stockt.
    Benedicte Clahn lacht ihn strahlend an.
    »Wie interessant. Sie sind auch Historiker? «
    »Einer der besten Militärhistoriker Nordeuropas«, sage ich.
    An seinem rechten Auge taucht ein Zucken auf. Ich bestelle Kaffee und Himbeertorte für ihn und mich. Benedicte Clahn nimmt noch ein Mineralwasser. Sie will keinen Kuchen. Sie will die ungeteilte Aufmerksamkeit von Dr. phil. Peter Føjl.
    »Da gibt es viel. Ich weiß ja nicht, woran Sie interessiert sind?«
    Ich setze alles auf eine Karte.
    »An Ihrer Zusammenarbeit mit Johannes Loyen.«
    Sie nickt.
    »Haben Sie mit ihm gesprochen?«
    »Kapitän Føjl ist ein enger Freund von ihm.«
    Sie nickt schelmisch. Das ist natürlich. Ein hohes Tier kennt das andere.
    »Das ist ja so lange her.«
    Der Kaffee kommt in einem Glaskolben. Er ist heiß und aromatisch. Die Begegnung mit dem Mechaniker hat mich tatsächlich auf die schiefe Ebene der schädlichen Rauschgetränke gebracht.
    Er läßt seine Tasse stehen. Er hat sich in seiner akademischen Würde noch nicht zurechtgefunden. Er sitzt da und schaut auf seine Hände.
    »Das war im März 1946. Die Royal Air Force hatte nach den Deutschen das Dagmarhaus am Rathausplatz übernommen. Ich erfuhr, daß sie junge dänische Männer und Frauen suchten, die Deutsch und Englisch konnten. Meine Mutter war Schweizerin, Ich bin mal in Grindelwald zur Schule gegangen. Ich bin zweisprachig. Für den Widerstand war ich zu jung. Ich habe das als Möglichkeit gesehen, trotzdem etwas für Dänemark tun zu können.«
    Sie spricht zu mir. Dennoch ist alles an den Mechaniker gerichtet. Überhaupt ist wohl ein Großteil ihres Lebens auf Männer ausgerichtet gewesen.
     
    Sie lacht heiser.
    »Wenn ich ganz ehrlich sein soll, ich hatte einen Freund, einen Leutnant, der ein halbes Jahr zuvor runtergefahren war. Ich wollte dort sein, wo er war. Frauen mußten innerhalb der ersten drei Monate ihres Aufenthalts dort unten einundzwanzig werden. Ich war achtzehn. Und ich wollte sofort los. Ich habe mich also drei Jahre älter gelogen.«
    Vielleicht, dachte ich bei mir, war das auch deine Chance, ganz legal von Papa General wegzukommen.
    »Ich war zum Interview bei einem Colonel , der die blaugraue Uniform der R.A.F. trug. Sie verlangten eine Prüfung in Englisch und Deutsch. Außerdem mußten wir Sütterlinschrift lesen können. Sie sagten, sie würden mein Verhalten während des Krieges überprüfen. Das können sie allerdings nicht getan haben, denn dann hätten sie die Sache mit meinem Alter entdeckt.«
    Die Himbeertorte hat einen Mandelkremboden. Sie schmeckt nach Obst, gebrannten Mandeln und dickem Rahm. Zusammen mit der Umgebung bringt sie für mich die Mittel- und Oberschicht der westlichen Zivilisation auf den Begriff. Die Vereinigung von ausgesucht raffinierten Spitzenleistungen und angestrengtem, sinnlos verschwenderischem Verbrauch.
    »Wir fuhren mit einem Sonderzug nach Hamburg. Deutschland war ja unter die Alliierten aufgeteilt worden, Hamburg war englische Zone. Wir arbeiteten in einer großen Wehrmachtskaserne und waren dort auch einquartiert, in der Graf-Goltz-Kaserne in Rahlstedt.«
    Weil die meisten Dänen so talentlose Zuhörer sind, bringen sie sich um das Erlebnis eines faszinierenden Naturgesetzes. Des Gesetzes, das sich jetzt bei Benedicte Clahn durchsetzt. Es ist die Verwandlung des Erzählers in dem Moment, in dem er von seinem eigenen Bericht verschlungen wird.
    »Wir waren gegenüber von den Blöcken, wo wir arbeiteten, in Zweierzimmern untergebracht. Unser Arbeitsplatz war ein großer Saal. Zwölf an jedem Tisch. Wir trugen Uniform, khaki-battle-dress mit Rock, Schuhen, Strümpfen und Cape. Wir hatten den Grad eines Stabsunteroffiziers im englischen Heer. An jedem Tisch saß ein Tischsortierer . An unserem Tisch war das ein weiblicher englischer Hauptmann.«
    Sie denkt nach. Der Pianist arbeitet sich jetzt langsam in Frank Sinatra ein. Sie hört es nicht.
    »Lila Bols«, sagt sie. »Ich war zum erstenmal in meinem Leben blau. Wir durften in dem Geschäft in der Kaserne einkaufen. Für eine Stange Capstan bekamen wir auf dem Schwarzmarkt genauso viel, wie eine deutsche Familie einen Monat lang zum Leben hatte. Der Chef war Colonel Ottini. Engländer, trotz des Namens. Um die fünfunddreißig. Charmant. Ein Gesicht wie eine sanfte Bulldogge. Wir lasen alle

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