Peter Hoeg
selbstverständlich von Loyen haben.
»Johannes arbeitete für eine Gesellschaft, die eine Fahrt nach Grönland arrangieren wollte. Er wollte, daß wir uns zusammensetzten und versuchten, einige Informationen aus den Briefen von 1946 zu rekonstruieren. Es waren meist Routenbeschreibungen. Viel über Ankerverhältnisse. Es gelang uns nicht. Obwohl wir viel Zeit in die Sache steckten. Ich glaube sogar, ich habe ein Honorar dafür bekommen.«
»Und 1990 oder 1991 noch einmal?«
Sie beißt sich auf die Lippe.
»Helen, seine Frau, ist sehr eifersüchtig«, sagt sie.
»Woran war er interessiert?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Er hat mir ja nie etwas erzählt. Haben Sie selbst versucht, ihn zu fragen?«
»Wir hatten noch keine Gelegenheit dazu«, sage ich. »Aber das kommt noch.«
Etwas an meiner Erklärung stört sie. Ich suche nach einer beruhigenden Bemerkung, mit der ich sie ablenken kann. Sie kommt selbst darauf. Sie schaut erst mich, dann den Mechaniker und dann wieder mich an.
»Sind Sie verheiratet?«
Da wird er überraschend rot. Es fangt am Hals an und kriecht nach oben, wie eine Schalentierallergie. Eine flammende, hilflose Röte.
Ich spüre eine kurze Hitzewelle an den Innenschenkeln. So daß ich einen kurzen Moment lang glaube, jemand habe mir etwas Warmes auf den Schoß gelegt. Aber da ist nichts.
»Nein«, sage ich. »Es ist schwer, sich vollständig dem Heeresarchiv zu widmen und gleichzeitig Familie zu haben.«
Sie nickt verständnisvoll. Sie weiß alles über das Hin- und Hergerissensein zwischen Krieg und Liebe.
»Zwei Männer begegnen sich«, sage ich, »vielleicht in Berlin. Loyen und Ving. Loyen weiß etwas über irgend etwas, das es sich aus Grönland zu holen lohnt. Ving hat eine Organisation, unter deren Deckmantel sie es holen können, denn er ist Vorstandsmitglied bei der Kryolithgesellschaft und ihr eigentlicher Leiter. Dann gibt es noch Andreas Licht. Von ihm wissen wir nur, daß er etwas über grönländische Verhältnisse weiß.«
Ich habe nicht vor, vom Liegeplatz 126 zu erzählen.
»Sie arrangieren eine Expedition unter der Regie der Gesellschaft, 1966. Etwas geht schief. Vielleicht war es ein Sprengunglück. Jedenfalls mißlingt die Expedition. Danach warten sie fünfundzwanzig Jahre. Dann versuchen sie es noch einmal. Aber diesmal ist etwas anders. Geld von außen bezahlt den Transport. Es ist, als hätten sie Hilfe bekommen. Sich mit irgend jemandem verbündet. Aber wieder geht etwas schief. Es kommen vier Männer um. Darunter Jesajas Vater.«
Ich sitze auf dem Sofa des Mechanikers. Unter einer Wolldecke. Er steht im Zimmer und will eine Flasche Champagner aufmachen. Das teure Getränk hier im Zimmer hat für mich etwas Ablenkendes. Er stellt den Champagner ungeöffnet ab.
»Ich habe heute nachmittag mit Juliane gesprochen«, sagt er.
Ich habe es schon in der Konditorei und hinterher auf dem Nachhauseweg gespürt, daß irgend etwas los ist.
»Der Baron ist jeden Monat im Krankenhaus untersucht worden. Sie h-hat jedesmal 1.500 Kronen bekommen. Immer am ersten D-Dienstag im Monat. Er wurde abgeholt. Sie war nie mit dabei. Der Baron hat nie etwas gesagt.«
Er setzt sich hin und sieht die kalte Flasche an. Ich weiß, was er denkt. Er überlegt, ob er sie wieder wegstellen soll.
Er hat hohe, fragile Gläser für uns hingestellt. Er hat sie erst in heißem Wasser und ohne Seife gespült und danach mit einem sauberen Handtuch abgetrocknet, bis sie ganz transparent sind. In seinen großen Händen wirken sie hauchdünn, wie Zellophan.
Die Wartezeit für eine Wohnung in Nuuk beträgt elf Jahre. Danach kriegt man eine Bude, eine Schutzhütte, einen Schuppen. Alles Geld klebt in Grönland an der dänischen Sprache und Kultur. Wer das Dänische beherrscht, bekommt die lukrativen Posten. Die anderen können in den Filetfabriken oder in der Arbeitslosenschlange verkümmern. In einer Kultur, die eine Statistik für Tötungsdelikte hat wie in Kriegszeiten.
Die Tatsache, daß ich in Grönland aufgewachsen bin, hat mein Verhältnis zum Wohlstand kaputtgemacht. Ich sehe, daß es ihn gibt, könnte aber nie danach streben. Oder ihn ernsthaft respektieren. Oder darin ein Ziel sehen.
Ich fühle mich oft wie ein Abfalleimer. In mein Leben hat das Dasein den Überschuß der technologischen Kultur geworfen: Differentialgleichungen, eine Pelzmütze. Und jetzt: eine auf null Grad gekühlte Flasche Champagner. Mit der Zeit fällt es mir immer schwerer, das reinen Herzens zu genießen. Wenn
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