Peter Hoeg
paar Jahre miteinander geredet und eine Nase dafür hat, verdient man schließlich jedesmal, wenn man zum Hörer greift und den Mund aufmacht, hunderttausend. In jedem größeren Hafen haben Lloyd's und die anderen großen Gesellschaften einen Beobachter angestellt, der alle ein- und auslaufenden Schiffe meldet. Und die Beobachter kennt man ja allmählich. Wenn jemand versucht hat, 4.000 Tonnen Eisklasse zu chartern, um eine Geheimfracht an einen geheimen Ort zu bringen, und du an dem Wer und Wie interessiert bist, dann bist du an den Richtigen geraten, Schätzchen. Denn dann wird Onkel Birgo das für dich herauskriegen.«
Wir stehen auf. Er reicht mir die Hand über den Schreibtisch.
»Es war mir wirklich ein Vergnügen, Schätzchen.«
Er meint es tatsächlich.
Wir gehen hinaus, an der Spitzenbluse vorbei. Im nächsten Büro kehre ich um.
»Ich habe noch was vergessen.«
Er sitzt am Schreibtisch. Er lacht noch immer vor sich hin. Ich gehe zu ihm hin und küsse ihn auf die Wange.
»Was soll denn Føjl dazu sagen? « fragt er.
Ich zwinkere ihm zu.
» All negotiations whatsoever to be kept strictly private and confidential. «
Alle zwei Tage holt Moritz Benja nach den Nachmittagsproben ab, und sie essen dann zusammen bei ›Savarin‹ im Nyhavn.
Moritz verkehrt dort, weil die Küche gut ist, die Preise sein Selbstgefühl anregen und er es mag, daß man durch die fassadenhohen Spiegelscheiben einen guten Ausblick auf die Leute auf der Straße hat. Benja geht mit, weil sie weiß, daß die Leute auf der Straße durch dieselben Scheiben einen guten Ausblick auf sie haben.
Sie haben ihren festen Tisch am Fenster und einen festen Ober, und sie essen immer dasselbe. Moritz nimmt Lammniere, Benja eine Schale mit der Sorte Futter, die man Kaninchen gibt. Ein Stück weg von ihnen sitzt heute eine Familie, die in diese ansonsten kinderfreie Zone klammheimlich ein kleineres Kind mitgenommen hat. Moritz sieht das Kind an.
»Du hast mir nie Enkel geschenkt«, sagt er zu mir.
»Kleine Kinder riechen nach nassen Windeln«, sagt Benja.
Moritz sieht sie verdutzt an.
»Das tun Lammnieren auch«, sagt er.
Ich denke an den Mechaniker, der draußen im Auto wartet.
»Willst du dich nicht setzen, Smilla?«
»Draußen wartet jemand auf mich.«
Durch die Scheiben kann Benja den Morris sehen, aber nicht, wer darin sitzt.
»Scheint jemand in deinem Alter zu sein«, meint sie. »Irgendwo in den Vierzigern. Nach dem schicken Auto zu urteilen.«
Wenn ich darauf antworten würde, verletze ich Moritz. Ich lasse es also unerwidert durchgehen.
Ich lehne mich an die Tischkante. So ist es immer gewesen. Benja und Moritz sitzen bequem zurückgelehnt. Sie gehören hierher. Ich stehe im Mantel da und fühle mich, als sei ich gerade von der Straße hereingekommen, um etwas feilzubieten.
Moritz hat zwei Umschläge in den Händen. Der eine ist grau und fleckig. Könnte Rotwein sein. In dem Schweigen zwischen uns versucht er, mich mit den Umschlägen auf einen Stuhl zu zwingen. Es gelingt ihm nicht.
»Es ist mir unangenehm«, sagt er.
Ich verstehe nicht, was er meint.
»Hviid ist kein gewöhnlicher Name. Es gab da mal einen Komponisten, Jonathan Hviid. Ich habe Victor Halkenhvad angerufen.«
Benja hebt den Kopf. Den Namen hat sogar sie schon mal gehört. »Ich wußte gar nicht, daß der noch lebt.«
»Ich bin auch gar nicht so sicher, daß er das tut.«
Er reicht mir den Umschlag. Ich halte ihn an die Nase. Der Fleck ist Rotwein. Moritz steckt einen Finger hinter seinen Rollkragen und fährt damit hin und her.
»Es war nicht angenehm. Er hat mächtig abgebaut. Irgendwann hat er den Hörer aufgeknallt. Als ich mitten in einem Satz war. Aber er hat trotzdem geschrieben.«
Die Gelegenheit, Moritz peinlich berührt zu sehen, bietet sich äußerst selten. Jetzt ist die Chance da. Erst draußen im Auto verstehe ich, weshalb.
Er holt mich an der Tür ein.
»Du hast den hier vergessen.«
Es ist der zweite Umschlag.
»Ein einzelner Ausschnitt über Tørk Hviid. Vom ›Dänischen Pressedienst‹.«
Ein Pressedienst, den er abonniert. Sie sammeln alle Presseausschnitte über ihn.
Er möchte mich anfassen. Er traut sich nicht. Er will etwas sagen. Er kriegt es nicht heraus.
Im Auto lese ich den Brief laut. Die Handschrift ist nahezu unleserlich.
Jørgen, du billiger kleiner Friseurtyp.
Der Mechaniker sieht durcheinander aus.
»Jørgen ist der Vorname meines Vaters«, erkläre ich. »Und Victor war schon immer
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