Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
ein Trinkgeld anbieten zu wollen. Hogart sah Jiri so lange nach, bis er im Nebel verschwunden war, dann schnippte er die Zigarette ins Hafenbecken und ging wieder unter Deck.
Nachdem er mit Ivona gegessen und den Abwasch erledigt hatte, brachte er das Gespräch wieder auf die Mordserie.
»Ab wann kamen Sie eigentlich ins Spiel?«
»Das war Mitte Mai - nach dem vierten Mord.« Ivona setzte sich wieder zu Hogart auf die Bank. »Morak veranstaltete mehrere Informationsabende für die Anrainer des Moldauufers. Er klärte die Menschen darüber auf, wie man sich bei einem Angriff am besten verhielt, warnte davor, nach Einbruch der Dunkelheit das Haus zu verlassen und bat darum, verdächtige Personen oder ungewöhnliche Beobachtungen sofort bei der Polizei zu melden - das Übliche eben. Dabei verriet er nichts über die Mordmethoden und verschwieg auch, dass es sich um zwei Täter handelt.«
Hogart nickte. Er kannte den wahren Grund für derartige Veranstaltungen. Bei diesen Bürgerversammlungen ging es der Kripo weniger um die Mithilfe der Anrainer, vielmehr hoffte sie, dass sich der Täter unter die Anwesenden mischte.
»Als weitere proaktive Methode drängte Morak sämtliche Zeitungen Mitte August dazu, kurze Artikel über den Halbjahrestag von Hana Zajicovas Ermordung zu bringen, in der Hoffnung, der Täter werde sich in der Nähe des Grabes zeigen. Doch weder die Observation des Leichenfundortes noch des Friedhofs hat je etwas gebracht.«
Ivona starrte auf die Karte. »Die Kripobeamten organisierten sogar eine Bürgerwehr, die jeden Monatsletzten entlang des Moldauufers patrouillierte, weil sie hofften, die Täter würden sich zur Teilnahme melden. Wochenlang waren die Beamten damit beschäftigt, die Autonummern der Freiwilligen zu notieren, alle Teilnehmer zu observieren, ihre Alibis zu prüfen und ihre Vergangenheit zu durchleuchten - ohne Erfolg. Für eingehendere Untersuchungen fehlte es einerseits an Personal, andererseits an der Genehmigung des zuständigen Staatsanwalts, der das Ganze für eine fadenscheinige Operation der Kripo ohne Erfolgsaussicht hielt, wie er es ausdrückte.« Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich würde Ihnen ja gern die heimlichen Filmaufnahmen dieser Infoabende zeigen, aber meine Kopien der Videobänder, die mir Novacek besorgt hat, sind zu stinkenden Plastikklumpen geschmolzen. Ich habe bloß noch diesen einen Bildschirmausdruck.«
Ivona kramte einen Farbausdruck aus der Mappe, den sie direkt von einem Standbild des Videorekorders gezogen hatte. Überraschenderweise war die Auflösung ziemlich scharf. Obwohl in der Halle laut Ivonas Angabe über zweihundert Personen dicht gedrängt auf Klappstühlen gesessen hatten, sah Hogart auf dem vergrößerten Bildausschnitt nur eine Handvoll Personen: ein älteres Paar mit grauen Haaren, einige Jugendliche, darunter welche mit Dreadlocks und Skatermützen, ein Mädchen mit wasserstoffblonden Haaren, einen jungen Mann mit zerschlissenem Mantel und einer Baseballkappe der Boston Red Sox und einen Herrn im dunklen Anzug mit Paisleykrawatte, Hornbrille und reichlich Pomade im Haar, der absolut nicht in die Gruppe passte. Ivona deutete mit dem Finger auf ihn. »Das ist Dr. Jaroslav Zajic, deswegen habe ich den Ausdruck gemacht«, erklärte sie.
Neben dem Sozialreferenten saß Ivona selbst, mit aufgesteckten Haaren und einem dunkelblauen Sweater, in dessen Ausschnitt eine Sonnenbrille steckte. Sie war dezent geschminkt und sah verdammt gut aus. Da die restlichen Fotos verbrannt waren, hielt er im Moment vermutlich die einzige Aufnahme in Händen, die es zurzeit von ihr gab. »Darf ich das Bild behalten?«
Sie dachte nicht einmal über ihre Antwort nach. »Es gehört Ihnen, gesponsert von der Prager Mordgruppe.«
Er faltete das Blatt zusammen und steckte es in die Gesäßtasche. »Haben Sie auch an den übrigen Infoabenden teilgenommen?«
»Nur an diesem, der in der Veranstaltungshalle in der Nähe der Kampa-Halbinsel stattfand. An dem Abend lernte ich Dr. Jaroslav Zajic kennen. Er lebte einige Zeit in Berlin und besitzt neben der tschechischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie haben ihn ja auf dem Foto gesehen, äußerlich macht er einen starken, gefestigten Eindruck, doch innerlich ist er ein gebrochener Mann. Ich glaube, sein eloquentes Auftreten, der perfekte Anzug und das teure Rasierwasser dienen nur dazu, die tiefe Wunde zu überdecken, die der Verlust seiner Frau hinterlassen hat. Jedenfalls, während der Pause
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