Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
Leiche am Morgen des ersten März in der Dusni, ebenfalls eine Straße in der Nähe des Flusses, aufgefunden wurde. Auch ihm fehlten Kopf und Hände. Seine Überreste waren allerdings in ein weißes Tuch gerollt. Im Monat darauf war das Opfer eine Prostituierte, ein blutjunges Mädchen aus Rumänien, das vor einem Cafe in der Esplanade lag, und am ersten Mai ein Landstreicher, dessen Leiche auf der Stvanice, einer Moldauinsel, vor der Elisabethpromenade zur Hälfte aus dem Schlamm ragte. Jeder Tote war auf die gleiche Weise verstümmelt worden. Nur waren die Frauen stets in schwarze, die Männer in weiße Samttücher gewickelt.
Ivona erhob sich und öffnete mehrere Schubladen. Unter einem Stapel Programmhefte von Jiris Theateraufführungen fand sie einige Büroklammern. Diese bog sie zu kleinen Haken um, trat vor das Bullauge und steckte vier davon längs des Moldauufers in das Papier des Stadtplans. Die Fundorte reihten sich auf einer Linie aneinander. Offensichtlich arbeiteten sich die Täter von Westen nach Osten vor. Hogart prägte sich die Stellen auf der Karte ein, aus denen die Büroklammern ragten. Ivonas Pfahlbau auf der Kampa-Halbinsel hatte nur etwa zwanzig Gehminuten vom ersten Fundort der Leiche entfernt gelegen.
Da Ivona ihre Aufzeichnungen zu dem Fall nicht mehr besaß, versuchte sie die komplette Geschichte weiterhin aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren.
Nach der vierten Leiche waren Jan Morak und sein Ermittlerteam überzeugt, dass es sich um zwei Täter handeln musste, da sie zwei unterschiedliche Vorgehensweisen unterscheiden konnten: Der erste Mörder - der Originalkiller - war Linkshänder. Er holte über der linken Schulter aus und köpfte seine Opfer, ausschließlich Frauen, mit einem schweren Küchenbeil. Er musste entweder ziemlich stark oder von großem Hass getrieben sein, da er nur drei bis vier Hiebe benötigte, um den Kopf vom Rumpf zu trennen. Bevor die Opfer starben, ritzte er ihnen mit einem Skalpell jeweils zwei Buchstaben in die Brust - bisher BA, DA oder TU. Er führte sein Ritual auf dem schwarzen Samttuch aus und wickelte seine Opfer anschließend darin ein. Der zweite Mörder - der Nachahmungstäter - war Rechtshänder. Er schnitt seinen Opfern, sämtlich Männer, die Hände mit einem Küchenmesser ab, ritzte ihnen entweder die Buchstaben BA oder SP in die Brust und enthauptete sie mit einer Kreissäge, wie sie früher in kleinen Sägewerken verwendet wurden. Er hinterließ die verstümmelten und ausgebluteten Leichen aber in weißen Samttüchern. Diese Informationen waren streng vertraulich und wurden der Öffentlichkeit immer noch vorenthalten, ebenso, dass es sich um zwei Mörder handelte. Bisher war unklar, ob die Täter unabhängig voneinander arbeiteten oder gemeinsam als Team vorgingen. Möglicherweise kannten sie sich nicht einmal.
Während Ivonas Erklärungen schlug Hogart den einzigen übrig gebliebenen Schnellhefter auf, der die forensischen Befunde der Gerichtsmedizin enthielt, die Dossiers der Spurensicherung, etliche Zeugenprotokolle sowie einige Skizzen, die den Tatablauf rekonstruieren sollten. Natürlich waren sämtliche Unterlagen in Tschechisch verfasst, doch Ivona erläuterte Hogartjene Teile, die er nicht selbst übersetzen konnte.
Zusammenfassend ergaben die Protokolle, dass die Opfer jeweils zwei bis drei Tage vor ihrer Ermordung entführt worden waren. Dabei benutzten die Täter Chloroform. Spuren der Chemikalie ließen sich an den Kleidern der Männer und Frauen nachweisen, die sich gegen die Betäubung zur Wehr gesetzt haben mussten. Außerdem fand sich vor allem bei den ersten drei Opfern so viel Chloroform in den Atemwegen, dass die überhöhte Dosierung sie beinahe umgebracht hätte. Daher schloss die Kripo Ärzte, Krankenpfleger oder sonstiges medizinisch geschultes Personal als Täter aus.
Bei der Autopsie ergab die Untersuchung des Mageninhalts, dass die Opfer während ihrer Gefangenschaft weder etwas zu essen noch zu trinken bekamen und auch nicht die Toilette benutzen durften. Deutliche Schürfungen und Blutunterlaufungen an den Fußgelenken und, sofern sich das noch feststellen ließ, an den Stümpfen der Handgelenke belegten, dass sie auf einem Metallstuhl oder einer Werkbank angekettet waren. Der Tod trat jeweils am Abend vor dem Fund ein. Wegen des hohen Blutverlusts ging die Kripo davon aus, dass die Opfer bei vollem Bewusstsein enthauptet wurden. Todesursache war stets das Durchtrennen der Wirbelsäule, entweder mit mehrfachen
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