Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
Wort zu jemandem sagen. Ihre verdammte heile Scheißwelt wäre zusammengebrochen. Egal was passiert wäre, sie hätte bis zum bitteren Ende zu dem Schwein gehalten. Die Schande, falls jemand etwas über diese schmutzigen Dinge erfahren hätte, fand sie schwerer zu ertragen als das, was ihr Mann ihrem eigenen Sohn antat.«
»Und hat er Sie …?« Hogart musste nicht weitersprechen.
»Mich hat das Schwein nie angefasst, falls Sie das meinen. Ich hätte ihm mit bloßen Händen das Genick gebrochen.«
»Wir müssen mit Ihrem Bruder sprechen«, betonte Ivona. »Wie ließe sich das einrichten, ohne dass Ihr Vater davon erfährt?«
»Das wird schwierig.«
»Während Ihr Vater in der Botschaft ist, könnten wir etwas arrangieren«, schlug Hogart vor.
Roman lächelte traurig. »Wir haben ein anderes Problem, das nichts mit dem Alten zu tun hat. Ich weiß nicht, womit er Micha all die Jahre gedroht hat, jedenfalls hat es ihn dazu gebracht, kein Wort darüber zu verlieren, was einmal im Monat in seinem Arbeitszimmer vorging.«
Ivona sah Roman verständnislos an.
»Micha spricht seit seinem zwölften Lebensjahr nicht mehr. Kein Wort. Er ist stumm.«
Unwillkürlich dachte Hogart an Michas Vorliebe für Stummfilme. Möglicherweise war sein Leben ebenso ausgeblendet und in farblose Grau-Schattierungen getaucht.
»Ich fürchte, nach Mutters Tod ist es schlimmer geworden.«
»Die Krankheit Ihres Bruders?«, fragte Ivona.
Nicht die Krankheit. Hogart kannte die Antwort, noch bevor Roman sie aussprach. Im gleichen Moment zog sich sein Magen zusammen, als hätte er einen Eispickel verschluckt.
»Nein, die Vergewaltigungen. Sie haben nie aufgehört. Ich fürchte, seit Mutters Tod ist es schlimmer denn je. Ich darf gar nicht daran denken, sonst müsste ich dem alten Bock den Hals umdrehen.«
»Ist Micha Linkshänder?«, fragte Hogart einer Intuition folgend.
»Ja, wie kommen Sie darauf? Er wird Ihnen aber ebenso wenig etwas aufschreiben wie mit Ihnen reden. Soviel ich weiß, malt er bloß.«
Eine Weile lang sagte keiner etwas.
»Ist es das, was Sie hören wollten?«, fragte Roman schließlich.
Hogart nickte. Das also war das Wespennest, das Greco gemeint hatte. »Danke, dass Sie so offen mit uns gesprochen haben.«
»Sie sind seit Jahren die Ersten, mit denen ich darüber rede. Sagen Sie kein Wort zu meiner Frau, sie weiß nichts davon.« Roman erhob sich. »Ich hoffe, eines Tages bekommt das Schwein die fällige Rechnung präsentiert.«
»Wir werden etwas gegen ihn unternehmen«, versicherte Ivona ihm.
Roman reagierte nicht darauf, doch Hogart wurde hellhörig. Mittlerweile kannte er diese Frau gut genug, um zu wissen, dass sie keine leeren Versprechungen abgab - und genau diese Tendenz machte ihm inzwischen Sorgen.
Roman steckte das Feuerzeug in die Brusttasche. »Ich muss zurück zum Ofen.« Er reichte ihnen nicht die Hand.
»Ich habe noch eine Frage«, rief Hogart ihm nach.
Roman war schon im Türrahmen, als er sich umwandte.
»Sie erwähnten zuvor ein Spiel, das Ihr Vater mit Micha gespielt hat… welches war das?«
Roman musste nicht lange nachdenken. »Schach, mit großen selbst gebrannten Lehmfiguren.«
Während sie in der kühlen Nacht zum Parkplatz marschierten, gingen Hogart Dutzende Gedanken durch den Kopf. Eigentlich war er nach Prag geflogen, um herauszufinden, was mit Schelling passiert war, wo sich Oktavians dreizehn Gemälde befanden, wer hinter dem Versicherungsbetrug steckte und warum Schelling die Prager Polizei nicht in den Fall einschalten konnte. Stattdessen schlitterte er immer tiefer in die Jagd nach einem Serienmörder, grub in den Abgründen menschlicher Seelen und wühlte Dinge an die Oberfläche, die ihm Brechreiz und Magenschmerzen bereiteten. Da er mit seinem eigentlichen Auftrag noch keinen Schritt weitergekommen war, würden ihn Kohlschmied und Rast morgen Abend nach Wien zurückholen - und spätestens am darauffolgenden Tag würde ein weiteres Opfer entführt, enthauptet und mit abgeschlagenen Händen in ein Tuch gewickelt werden. Micha würde weiterhin von seinem Vater vergewaltigt werden, und eines Tages würde Dr. Zajic Ivona fragen, was sie Neues herausgefunden hatte. Gebe Gott, dass sich dann keine Waffe in Ivonas Nähe befand!
»Jetzt ist mir klar, weshalb Roman den Nachnamen seiner Frau angenommen hat«, sagte Ivona.
Hogart antwortete nichts darauf.
»Was geht Ihnen durch den Kopf?«, fragte sie.
»Ich glaube, Micha ist unser Mörder.«
»Er ist zu lethargisch,
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