Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
Herrschers zum Ausdruck.
»Ein wunderbares Turnier«, rief Vesely begeistert. »So knapp und präzise gespielt, perfekt agiert und pariert. Hier ist alles vereint, was eine gute Partie ausmacht!«
»Und - ist es unsere Partie?«, fragte Hogart.
»Und ob! Bisher stimmen die ersten sieben geschlagenen Figuren überein, nun müssen wir nur noch warten, bis …« Vesely verstummte, als der Rabbi ins Bild trat und ihnen die Sicht aufs Schachbrett versperrte. Hogart hielt den Atem an. Er sah zwar, wie sich der Golem und der König abwechselnd nach vorne beugten, doch blieben ihm die Spielzüge verborgen.
Hogart wagte Vesely nicht anzusprechen, doch der Schachmeister wusste ohnehin, welche Frage ihm auf der Zunge brannte.
»Die restlichen Züge lassen sich nicht rekonstruieren, da sich die Möglichkeiten mit jedem weiteren Zug ins Unendliche steigern«, murmelte Vesely. »Ich hoffe, wir erhalten noch einen letzten Blick auf das Spielbrett.«
Plötzlich ließ der Kaiser den Kopf hängen, während der Rabbi die Arme hochriss. Danach erstrahlte die Leinwand in nacktem grellem Licht. Hogart schloss geblendet die Augen. Das Ende des Filmstreifens flappte auf der Projektorspule. Die Szene hatte nicht länger als vier Minuten gedauert, und ein weiterer Blick auf das Schachbrett war ihnen verwehrt geblieben.
Hogart rückte in seinem Stuhl näher an Vesely heran. »Wahrscheinlich können Sie nicht sagen, wie diese Partie zu Ende geht, oder?«
»Ich kann lediglich Vermutungen anstellen.«
Vermutungen! Hogart zermarterte sich das Gehirn. Weshalb sollten sich zwei Serienkiller auf eine Partie einigen, über deren Ende es nur Spekulationen gab? Irgendwo musste es einen Hinweis auf den Ausgang der Partie geben, andernfalls hätte diese Botschaft keinen Sinn.
Musils Worte rissen ihn aus den Gedanken. »Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen.« Der junge Mann montierte die Filmrolle ab und schob sie in die Metalldose, die er in der Pappschachtel verschwinden ließ.
»Halt!« Hogart sprang auf. »Ich würde gern einen Blick in das Drehbuch werfen.« Ohne Musils Antwort abzuwarten, kramte er den vergilbten Packen Papier aus der Kiste. Die von einer Schnur zusammengehaltenen Seiten waren zum Teil ausgerissen, zerknittert und mit Kaffeespritzern befleckt. Eigentlich gehörte dieser Schatz in ein Filmmuseum statt hier zu vermodern. Nicht ohne einen Anflug von Ehrfurcht schlug Hogart das Buch auf, während Ivona und Vesely an seine Seite traten. Auf einer Schreibmaschine getippt, aber mit zahlreichen handschriftlichen Korrekturen versehen, wirkte das Drehbuch wie die fehlerhafte Seminararbeit eines Studenten der Filmhochschule. Hogart blätterte vor, bis er zur Einstellung Nr. 151 gelangte.
»Wir sind auf der richtigen Spur.« Ivona deutete auf einen Absatz, wo die Beschreibung der fraglichen Szene begann. Bei der Auflistung der einzelnen Spielzüge trugen die Figuren lediglich Kürzel: BA, TU, DA und SP.
»Dieses Rätsel wäre geklärt«, murmelte Vesely. »Doch endet die Beschreibung der Spielzüge in dem Moment, als der Rabbi ins Bild tritt.«
Musil begriff von ihrem Gespräch vermutlich kein einziges Wort. Stumm stand er neben ihnen und beobachtete, wie sie die Köpfe zusammensteckten und über dem Drehbuch brüteten.
Hogart blätterte um. Kurz vor Szenenende war ein handschriftlicher Kommentar eingefügt. Die Partie Roesch gegen Schlage, Hamburg 1910, wird zu Ende gespielt. Der Golem gewinnt, Rabbi Low reißt vor Freude die Arme hoch.
»Roesch gegen Schlage, Hamburg 1910!«, rief Vesely. »Und wir haben erst ab 1914 zu suchen begonnen!«
»Das genügt uns?«, fragte Hogart.
Vesely nahm seinen Hut und reichte dem verblüfften Musil die Hand. »Besten Dank, Sie haben uns sehr geholfen.«
Zehn Minuten später saßen Ivona, Vesely und Hogart in einem Kaffeehaus am Beginn der Fußgängerzone des Wenzelsplatzes. Während Vesely mit seinem Sohn telefonierte, blickte Hogart auf den leeren Parkplatz des Filminstituts. Von den Schwarz-Weiß-Plakaten an den Containerwänden starrten ihm Jozef Kroner, Lubomir Kostelka und andere tschechische Filmschauspieler entgegen.
Hogart rührte gedankenverloren in seiner Kaffeetasse. Für ihn lag auf der Hand, dass die beiden Killer die entsprechende Seite aus dem Drehbuch kannten. Und einer davon war Micha Zajic. Es gab keine andere Möglichkeit, denn über ihn war er überhaupt erst auf den Film gestoßen. Aber da es sich bei der Szene um eine nie veröffentlichte Aufnahme handelte, die
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