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Peter Hogart 1 - Schwarze Dame

Peter Hogart 1 - Schwarze Dame

Titel: Peter Hogart 1 - Schwarze Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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er zum Handy.
    Sein Telefonat mit einem jüngeren Schachkollegen, der für einen einheimischen Radiosender arbeitete, ergab, dass die Barrandov-Filmstudios im gleichnamigen Prager Stadtviertel lagen, wo in den 50er und 60er Jahren ein Großteil der tschechoslowakischen Filmproduktionen entstanden war. Heute bestand das Studio nur noch aus abgesperrten Lagerhallen voller vergessener Requisiten, Bühnenbilder und Filmrollen. Im Prager Filmarchiv, einem Ableger der Studios, wurden die alten Filme restauriert und digital überarbeitet. Angeblich waren sie dort an der richtigen Stelle.
     
    Das Gebäude am Ende der Fußgängerzone des Wenzelsplatzes sah aus wie ein Museum of Modern Arts, das aus Bürocontainern errichtet worden war. An den Containerwänden klebten Filmplakate zu Schwarz-Weiß-Filmen aus den 30er Jahren, ebenso auf den Litfasssäulen des gähnend leeren Parkplatzes. Nur die Fahrradständer waren mit Drahteseln belegt. Vermutlich arbeiteten hier hauptsächlich Studenten, die sich kein Auto leisten konnten.
    Seit ihrem Spaziergang an der Moldau war es klirrend kalt geworden. Trotzdem fühlte sich Hogart seltsam wohl, als er über das Filmgelände ging. Die Umgebung strahlte etwas Vertrautes aus. Die Melancholie aus der goldenen Ära der Filmkunst zu spüren, bedeutete eine erfreuliche Abwechslung gegenüber den barocken Gebäuden, Kirchtürmen und grauen Denkmälern, auf die man überall in Prag traf. Als beträte er eine andere Welt, sah Hogart sich den tschechischen Versionen von Peter Lorre, Cary Grant, Bette Davis oder Charles Laughton gegenüber. Das Aussehen der Schauspieler war nicht einmal so verschieden. Was würde er dafür geben, eine der mit Requisiten angefüllten Lagerhallen betreten zu dürfen. Er hätte stundenlang in Kisten mit Postern und alten Aushangfotos stöbern können. Beim Betrachten der Filmplakate fiel er immer weiter zurück, bis ihn Ivona schließlich weiterzog.
    Da es auf dem Gelände weder einen Portier noch eine Überwachungskamera gab, gelangten sie unbemerkt in den größten Container, in dem sich laut Türschild die Büros befanden. Die Räume glichen eher einem offenen Depot für Ordner, Pappschachteln und Filmrollen als Büros. Aus einer einzigen Nische drang das Klappern einer Tastatur. Über einem Aktenstapel ragte der wirre schwarze Haarschopf eines Mannes hervor, der den Geräuschen nach zu urteilen an einem PC saß. In der Spiegelung des Fensters bemerkte Hogart die Anordnung von Pokerkarten auf dem Monitor.
    »Halo!«, rief Ivona.
    Sofort beendete der Angestellte das Spiel. Als er sich von seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch erhob, wirkte er nur wenig größer als zuvor im Sitzen. Er war noch jung, Anfang zwanzig, und ziemlich pummelig. Er blickte durch eine unmoderne Buddy-Holly-Brille, sein Hemd war aufgeknöpft und hing über den Hosenbund. Das T-Shirt darunter trug Kaffee- oder Ketchupflecken und spannte sich über der beträchtlichen Bauchwölbung. Als er auf sie zutrat, erkannte Hogart das ausgewaschene Motiv des T-Shirts: James Dean im Schattenriss.
    Ivona sprach ihn gleich auf Deutsch an. »Bestimmt sind Sie viel beschäftigt, aber …«
    »Sind Sie von der Gewerkschaft?«, unterbrach er sie mit einer schrillen Stimme - sein Deutsch war recht gut.
    »Nein.«
    Er betrachtete sie misstrauisch. »Vom Finanzamt?« Sie verneinte.
    Plötzlich lächelte er. »Wir haben hier nicht allzu viel zu tun. Die meisten Mitarbeiter hier sind freiberuflich: Kunststudenten, Bühnenbildner, arbeitslose Drehbuchautoren … Der tägliche Höhepunkt ist der Besuch beim Kaffeeautomaten, wo Gespräche über Dialoge, Kameraführung und Schnitttechniken stattfinden. Es gibt zwei widerstreitende Meinungen: Die einen halten Milos Formans Amadeus für ein Kunstwerk, die anderen für Kommerz. Falls Sie sich über die Studios informieren wollen, so habe ich hier eine Broschüre …«
    »Haben Sie eine Kopie des Films Der Golem’?«, fragte Ivona dazwischen.
    »Der Golem …« Er dachte nach, plötzlich deutete er auf Vesely. »Sie sind doch Hieronymus Vesely!«
    »Der bin ich.«
    »Mann, ich fasse es nicht! Sie sind eine Legende! Mein Name ist Myslivec, aber bitte nennen Sie mich Musil - alle hier sagen Musil zu mir.« Er wischte sich die Hand an der Hose ab und streckte sie Vesely entgegen.
    Hogart fielen die fleischigen Finger auf, die Veselys Hand mehrere Sekunden lang nicht loslassen wollten.
    Vesely räusperte sich. »Haben Sie nun den Film?«
    »Der Film, ach ja. Kommen Sie mit.«

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