Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
Ausschreitungen gegen Darmstadt nach Hannover verlegten Heimspiel gegen Fortuna Köln. Zur Halbzeit liegt Schalke mit 0:2 gegen die spielstarke Mannschaft aus der Domstadt zurück. Ins Niedersachsenstadion sind 10 000 Zuschauer gekommen, 400 aus Köln, ein paar neutrale - der Rest sind Schalker. Und ihre Mannschaft enttäuscht die mitgereisten Fans nicht.
Normalerweise lässt Neururer seine Spieler in der Halbzeitpause erst einmal in der Kabine ankommen, gibt ihnen fünf Minuten Zeit zum Runterkommen. Diesmal hält er es nicht so lange aus, seine Ansprache ist feurig und mündet in dem Satz: »Ich will sehen, dass ihr euch wie Fußballer verhaltet.«
Mittelstürmer Uwe »Tattoo« Igler hat wohl »Footballer« verstanden. Er bindet sich seine Schienbeinschoner um die Unterarme und brüllt: »Ich block hier alles. Wir hauen die jetzt weg!« Die Mannschaft brüllt, sie lebt, und sie holt tatsächlich noch ein Unentschieden. Auf der Rückfahrt von Hannover wird der Mannschaftsbus die ganze Fahrt über von Autos mit Schalker Fans begleitet. Und als die Mannschaft das Gelände am Parkstadion erreicht, haben Anhänger ein Spalier gebildet, durch das der Bus hindurchfährt.
Die Zuschauerzahlen bei Heimspielen ziehen an: 13700 sind gegen Mainz gekommen, 25 000 gegen Freiburg - und dann ist das Parkstadion zum entscheidenden Spiel gegen Blau-Weiß 90 Berlin ausverkauft. Es entsteht ein Zusammengehörigkeitsgefühl aus der Angst vor dem drohenden Untergang des Clubs und der Hoffnung, es doch noch schaffen zu können. Aber durch ist man noch nicht. 12:6 Punkte lautet Neururers Bilanz bis zum Spiel gegen die von Bernd Hoss trainierten Berliner. 66 000 Zuschauer sind da. Es ist gleichwohl nicht die schiere Begeisterung für Schalke allein, die diese Zahl verursacht. Es ist auch der Erfolg einer Maßnahme von Präsident Eichberg, der das Spiel an einen Sponsor verkauft hat und damit die Eintrittspreise hat senken können.
Neururer weist den Busfahrer an diesem Sonntagnachmittag an, nicht hinter dem Stadion zu parken, sondern durchs Marathontor direkt auf die Tartanbahn zu fahren. Durch diese besondere Maßnahme will der Trainer einen weiteren Reizpunkt setzen - in seiner Mannschaft und bei den Fans auf den Rängen. Als Berlin, das noch Chancen auf die Teilnahme an der Relegation hat, 1:0 in Führung geht, ist Neururer überrascht, wie leise ein ausverkauftes Stadion sein kann.
Schalkes Fans, vor allem aber die Mannschaft, sind paralysiert. Ein paar Minuten ist es im weiten Rund einfach nur still, dann beginnt einer in der Nordkurve, wo die Schalke-Fans stehen, »Schal-ke! Schal-ke!« zu schreien. Immer mehr Zuschauer steigen in den Gesang mit ein. Es wird laut, fürchterlich laut. Es ist das Fanal für Neururers Mannschaft, sie gibt alles und gewinnt am Ende 4:1 - gerettet.
Die Fans steigen über die Zäune, stellen sich neben den Platz und warten auf den Schlusspfiff. Neururer denkt in diesen Augenblicken nicht an die 66.000 Mark, die ihm aufgrund der mit Eichberg getroffenen Zuschauer-Sonderprämienregelung zustehen. Er muss zunächst einmal auf seine Gesundheit Acht geben: Bei den spontanen Feierlichkeiten trägt er zahlreiche blaue Flecken davon, so innig wollen ihn die Schalke-Fans drücken für das, was er geleistet hat. Besser noch für das, was er verhindert hat. Die Mannschaft und ihr Trainer schaffen es kaum mehr in die Kabine. Neururer erreicht die Umkleide in Unterhose.-Sie ist das letzte Kleidungsstück, das man ihm gelassen hat. Doch in dem bis dahin emotional bewegendsten Moment seirfer Karriere läutet Neururer zugleich sein Ende auf Schalke ein.
Auf der großen, spontanen Nichtabstiegsparty nach dem Berlin-Spiel erinnert Günter Eichberg den Trainer an ein Versprechen. Eichbergs Lebensgefahrtin Christa Paas hatte Neururer für den Fall des Klassenerhalts als Sonderprämie ihren Porsche-Cabrio als Geschenk zugesichert. Als Günter Eichberg Neururer nun vor Zehntausenden den Schlüssel des Sportwagens überreichen will, lehnt Neururer ab. Ihm ist es vor den vielen ganz normalen Fans unangenehm, sich einen Porsche überreichen zu lassen. Neururer verweigert die Annahme des Schlüssels, Eichberg fühlt sich bloßgestellt. Es ist eine Szene, wie von William Shakespeare erdacht. Dem Sonnenkönig Eichberg fallt es in dieser Zeit nicht leicht zu ertragen, dass dieser Peter Neururer in größerem öffentlichem
Glanz erstrahlt als er, der Präsident und Boss.Esistder Riss in der Beziehung zwischen dem mit dem
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