Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
sich ja schon gedacht, aber jetzt sagt ihm sein Instinkt, dass er mit dieser Mannschaft wirklich die Klasse halten wird. Die Truppe ist einfach zu gut, um abzusteigen. Dazu kommt die unfassliche Unterstützung vonseiten der Fans. Das geht nicht schief, ist Neururer überzeugt. Es kann gar nicht. Wenn da nicht ein Problem wäre, das er ganz schnell wird lösen müssen.
Die psychische Verfassung der Mannschaft ist unterirdisch. Jeder Mannschaftsteil komplett verunsichert, manch ein Spieler scheint gar nicht mehr zu wissen, wie man sich im Spiel auf einem Fußballfeld bewegt. Laufwege? Gibt es quasi nicht. Aber es gibt »Tanne« Fichtel, Schalkes Spieler mit den meisten Bundesliga-Einsätzen. Ein toller Typ, Königsblau durch und durch, mit einer - angesichts der Situation - geradezu sagenhaften^Ansprache an die Mannschaft: »Ihr Blinden!«, brüllt Tanne beim Training. »Wir früher Zum antiquierten Kasernenhofton gesellen sich entsprechende Trainingsmethoden. Neururer hat gelernt, dass eine am Boden liegende, verunsicherte Mannschaft im Training Innovation und Motivation verspüren muss. Eine ganz andere, eine neue Ansprache muss her, um aufzurütteln, die Spieler mitzunehmen und sie schlussendlich wieder für den Fußball zu begeistern, ihre Stärken wieder zutage zu fördern.
Da die Transferperiode bereits abgeschlossen ist, lassen sich über Neuzugänge keine neuen Akzente im apathischen Mannschaftsgefüge setzen. Auch der Schalker Amateurmannschaft mangelt es an Talenten, die man mal eben schnell zu den Profis holen könnte. Es bleibt dem Neuen nur eine Maßnahme: Trainingslager.
Vor seinem ersten Pflichtspiel setzt Cheftrainer Neururer also ein viertägiges Trainingslager im Eifellcurort Bad Bertrich an, wo Schalkes Präsident Eichberg an einer Klinik beteiligt ist. Das gebuchte Mannschaftshotel entpuppt sich als Katastrophe: keine Fernseher auf den Zimmern, schlechtes Essen, fürchterliches Wetter und obendrauf ein Trainingsplatz, der diesen Namen nicht verdient. Der Spielerrat um Kapitän Andi Müller, Werner Vollack, Ingo Anderbrügge, Carsten Marquardt und den jungen Torhüter Jens Lehmann kommt zu Neururer und drängt, ob der unzumutbaren Gegebenheiten, auf sofortige Abreise und Abbruch des Trainingslagers. Obwohl Neururer die Dinge ähnlich sieht, entscheidet er sich intuitiv für das einzig Richtige. Er faltet das Spielerquintett zusammen:
»Ihr könnt froh sein, ein Dach über dem Kopf zu haben. Dieser Trainingsplatz ist absolute Weltklasse, ich hab noch nie einen besseren gesehen. Und dieses Hotel ist genau uns und unserem Tabellenstand entsprechend - wir müssten eigentlich in Zelten übernachten! Was wollt ihr denn unseren Fans erzählen? Wir haben den Verein in diese Scheißsituation gebracht. Jetzt müssen wir ihn hier wieder rausholen. Wir bleiben hier. Und wir geben jetzt Vollgas!«
Das Spielerquintett ist überrascht ob der gestrengen Ansage des neuen Übungsleiters, doch Neururers Argumentation verfangt. Die Mannschaft quält sich in Bad Bertrich durch ein Training, das Neururer ihnen als »Stoßtraining« verkauft: eine schweißtreibende Mischung aus Umkehrläufen und Hoch-tief-Sprüngen. Das kräftemäßige Auspowern ist, das weiß Neururer, zu diesem Zeitpunkt mitten in der Saison nicht nur physiologisch betrachtet sinnlos. Der Trainer riskiert auch, dass er die Truppe durch seine Quälerei gegen sich aufbringt.
Tatsächlich ist auch Neururer von den Bedingungen in dem Eifelkaff genervt. Ein harmonisches Trainingslager hatte er angedacht, auf einem gepflegten Platz mit einem netten Hotel, um die von ihm beabsichtigte Symbiose zwischen allen Beteiligten am Unternehmen Klassenerhalt herzustellen. Doch als ihm die Realität von Bad Bertrich ins Gesicht schlägt, entscheidet er, die Reize nicht durch Harmonie zu setzen, sondern durch das gemeinsame Durchbeißen: Wer Bad Bertrich überlebt, für den ist Abstiegslcampf ein Klacks. »Es war ein reines Psychotraining«, sagt Neururer heute. »Normalerweise hätte ich die Mannschaft nach diesem Trainingslager erst mal für eine Woche auf Regeneration schicken müssen. Aber das war ja nicht drin.«
Denn das Spiel bei Hertha BSC steht an. Es setzt einen Dämpfer, Schalke unterliegt 1:2. Andi Müller vergibt einen Elfmeter, und in der 87. Minute gelingt den Gastgebern der Siegtreffer. Nicht nur Neururer denkt: »Ach, du Scheiße-jetzt wird's eng!«*
Doch es folgen »Schlüsselergebnisse«, wie der Trainer sie nennt. Etwa beim aufgrund der
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