Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
Wolfram Wuttke. Der inzwischen 30-Jährige kommt von Espanyol Barcelona, wo er als überzähliger Ausländer nicht mehr gebraucht wird. Wuttke wird sofort zum absoluten Leistungsträger und genießt aufgrund seiner fußballeriseiien Fähigkeiten eine große Anerkennung bei seinen Mannschaftskollegen. Der Mittelfeldspieler ist, was Neururer »einen positiven Einzelgänger« nennt. Ein Individualist, der aber durch seine Eigenbrötlerei weder der Mannschaft noch dem Teamgeist schadet. Andere sagen, Wuttke habe in seiner unerfüllten und von vielen Brüchen gekennzeichneten Karriere immer wieder nur sich selbst geschadet.
Am 6. Spieltag der Saison 1992/93 trifft Saarbrücken zu Hause auf den 1. FC Kaiserslautern, jenen Verein, für den Wuttke vor seinem Wechsel nach Spanien vier Jahre lang aktiv gewesen und von dem er nicht im Frieden geschieden ist. Spiele zwischen Saarbrücken und Kaiserslautern haben -wenn die beiden Teams dann mal in einer Liga spielen - aufgrund der regionalen Nähe ohnehin Brisanz. Durch Wuttkes Teilnahme steigt diese spürbar an.
Am Abend vor dem Spiel erhält Neururer einen Anruf. Er hört Wuttkes dünne Stimme: »Trainer, ich lieg im Bett. Ich hab Schüttelfrost, Fieber. Ich kann morgen nicht spielen«, sagt der Mittelfeldspieler. »Kommen Sie bitte sofort vorbei.«
Neururer, der aus steuerlichen Gründen in Frankreich wohnt, setzt sich in sein Auto und fährt die paar Minuten zu jenem schlichten Kettenhotel gleich hinter der Grenze, in dem Wuttlce untergebracht ist. Als Neururer durch die offen stehende Tür Wuttkes Zimmer betritt, kommen ihm Rauchschwaden entgegen. Wuttke liegt im Bett. Des Trainers Blick fällt auf einen Aschenbecher, der sich im selben Zustand wie Wuttke befindet: voll bis oben hin.
»Dir geht es aber wohl verdammt schlecht«, sagt Neururer.
»Ja, mmmh, ich schwitze und ...«
»Dir geht es aber verdammt schlecht, oder?«, wiederholt Neururer und poltert: »Was ist denn mit dir los, hast du sie nicht mehr alle auf dem Zaun, oder was?!«
Dann spricht Wuttke, und Neururer erfahrt, dass seinen erfahrensten Mann große Ängste plagen. Wuttke, Saarbrückens Leistungsträger und Topverdiener, ist sich nicht sicher, wie die hartgesottenen FCK-Auswärtsfans ihn im Stadion empfangen werden. Er hat Panik, dem zu erwartenden Druck nicht standzuhalten. Wuttke zittert, er schwitzt, er ist stark angetrunken, er ist fertig, er kann nicht mehr.
Neururer entscheidet die Frage, ob die Mannschaft ohne Wuttke auflaufen soll, schnell. Natürlich weiß er, dass er sein Team ausgerechnet gegen den Regionalrivalen erheblich schwächt. Doch er weiß auch, dass Wuttke in dieser Saison sein vielleicht wichtigster Spieler im Kader ist. Instinktiv entscheidet Neururer: Er steht zu Wuttke. Weder Mannschaft, Offizielle noch Öffentlichkeit erfahren, dass Wuttke und Neururer an diesem Abend in einem tristen Hotelzimmer eine Verabredung treffen. Wären mehr Personen in die Sache involviert gewesen, hätte das die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Geheimnis keins geblieben wäre. Und im Fall eines Misserfolgs der Mannschaft gegen Kaiserslautern hätte es damit eng werden können. Für Wuttke genauso wie für den ihn deckenden Trainer.
So gibt Peter Neururer am Spieltag bekannt, der Spieler Wuttke stehe für die Partie im Ludwigspark wegen eines grippalen Infekts kurzfristig nicht zur Verfügung. Und Neururer und Wuttke haben Glück. Nach dem 2:o-Heimsieg des FCS durch einen Doppelpack von US-Stürmer Eric Wynalda ist die Erkrankung Wuttkes kein Thema mehr.
Zu einem anderen Thema wird derweil der zu Saisonbeginn aus Karlsruhe an die Saar gewechselte Arno Glesius. Der von der Mosel stammende, kraftstrotzende Stürmer gefallt Neururer wegen seines ausgesprochen positiven Naturells, aber die Naivität des Winzersohns verblüfft den Trainer mindestens zweitaal.
Als die Saarbrücker zu Beginn der Saison die Reise zu einem Auswärtsspiel im Mannschaftsbus bestreiten, hält sich Glesius nicht an die Sitzordnung. Statt sich wie alle seine Mitspieler in den hinteren Teil des Busses zu begeben, lässt er sich gleich vorne in die für den Assistenztrainer reservierte Zweierbank hinter dem Fahrer fallen. Die, das hat Glesius erfahren, wird an diesem Tag frei bleiben, weil Neururers Co nicht im Bus mitfährt.
Der rechts von Glesius auf seinem Stammplatz sitzende Cheftrainer ist vom Verhalten seines Stürmers irritiert, seine Verwirrung nimmt allerdings zu, als Glesius aus seiner Sporttasche eines dieser DIN
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