Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
du dich denn nicht?«
»Nee, denn pass mal auf«, antwortet Neururer, »jetzt nehmen die Bayern uns gleich ernst.«
Zuvor hat zumindest einer der Hertha-Spieler bereits dafür gesorgt, dass der deutsche Rekordmeister den Tabellenletzten nicht wirklich für satisfaktionsfähig erachtet.
Wegen vieler verletzungsbedingter Ausfalle hat Hertha die Reise nach München mit dem letzten Aufgebot angetreten. So ist auch der 21-jährige Abwehrspieler Marko Zernicke in die erste Elf gerutscht, ihn hat Neururer als Manndecker gegen Bayerns Offensivspieler Brian Laudrup eingeteilt. Als nun die Berliner mit ihrem Bus im Bauch des Olympiastadions eintreffen, parkt gleich nach ihnen der Bus der Gastgeber ein. Während Neururer seinen alten Bekannten Olaf Thon begrüßt, beobachtet er, wie Zernicke auf seinen Gegenspieler Brian Laudrup zugeht und ihn höflich um ein Autogramm bittet. Neururer ist fassungslos, er erinnert Zernicke kurz darauf daran, dass er heute nicht hierhergekommen ist, um Laudrup um ein Autogramm zu bitten, sondern dem Dänen lieber mal ordentlich eins auf die Hölzer zu geben. Das zeigt Wirkung. Laudrup erzielt an diesem Nachmittag keinen Treffer, sein Gegenspieler indes schon. In der 87. Minute dribbelt Marko Zernicke unwiderstehlich nach vorn, schließt ab und trifft zum 3:7. Danach sprintet er wie ein Irrer zur eigenen Bank, wirft sich hin und rutscht die letzten Meter auf dem Rücken die Seitenauslinie entlang. Neururer geht zu Zernicke und brüllt ihn an: »Junge, steh ganz schnell wieder auf, sonst hau ich dir eine aufs Maul - guck mal auf die Anzeigentafel!« Es folgt die Pressekonferenz.
Neururer hat die Faxen dicke, er hat keine Ahnung, was er den Medienmenschen nach dieser deklassierenden Niederlage erzählen soll, geschweige denn hat er überhaupt Lust dazu, irgendetwas von sich geben. Also flüchtet er sich in ein Blabla aus »Ich muss meine Mannschaft loben...«, »die Jungs haben wirklich alles gegeben ...«, »aber der Gegner war am heutigen Tag einfach zu stark...«, »die Bayern stehen zu Recht da oben ...« Nach der kurzen Erklärung des Gästetrainers fragt Bayern-PressechefMarkus Hörwick in die Journalistenrunde:
»Hat jemand noch Fragen an Herrn Neururer?«
Es meldet sich Dieter Kürten, »Mister Sportstudio« höchstpersönlich. »Herr Neururer, können Sie sich eigentlich daran erinnern, jemals so hoch verloren zu haben?«
»Ja, klar«, antwortet Neururer, »das war 1966 gegen meinen Bruder im Tipp-Kick.« Guter Spruch, der Trainer hat die Lacher auf seiner Seite.
Kurz darauf erhält Neururer mit der Post ein Schreiben von Hertha BSC Berlin zugestellt. In diesem wird ihm mitgeteilt, dass er mit Bezugnahme auf sein Tipp-Kick-State-ment in der Pressekonferenz wegen Verunglimpfung des Vereinsnamens sofort und fristlos gekündigt sei.
»Hertha.BSC Berlin war wirklich ein Erlebnis«, sagt Neururer heute. Damals trifft es ihn hart. Denn während er raus ist aus dem Geschäft in Deutschlands höchster Spielklasse, hat sein alter Verein Schalke 04 die Rückkehr ins Oberhaus geschafft. Und Neururer? Er fangt wieder einmal von vorn und von unten an.
Alles eine Frage der Intelligenz - Saarbrücken
Vor der Saison 1991/92 meldet sich der 1. FC Saarbrücken bei Peter Neururer. Der Zweitligist gilt nicht unbedingt als besonders großartig geführt und hat in den letzten Jahren wegen anhaltender Finanzprobleme immer wieder seine Leistungsträger abgeben müssen: 1990 ist der Ghanaer »Tony« Yeboah für 600.000 Mark zu Eintracht Frankfurt gegangen und dort zu einem Goalgetter der Extraklasse gereift. Im selben Jahr hat auch Norbert Schlegel den FCS für 400.000 Mark in Richtung Hertha BSC Berlin verlassen. Und in der Sommerpause ist soeben Abwehrspieler Adrian Spyrka für kolportierte 600.000 Mark zum 1. FC Köln transferiert worden.
Als Neururer zum Vorstellungsgespräch in Saarbrücken eintrifft, nimmt er sehr schnell auf, mit was für einer Art von Vorstand er es in diesem Fall zu tun hat. Es sind Menschen von gehobenem geistigem Niveau aus dem Dunstkreis des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine, um deren Fußballfachkenntnis es gleichwohl nicht allzu gut bestellt ist. Neururer entscheidet sich spontan für einen gewagten Ritt und läuft dabei zu großer rhetorischer Form auf. Sein Bewerbungsvortrag ist ein Mix aus Psychoanalyse, Trainingslehre und Physiologie. Inhaltlich reich an Informationen, wenig wasserfest, jedoch mit großem Pathos vorgetragen - vor allem aber
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