Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
eine Kleinigkeit, danach folgt die obligatorische Spielbesprechung, und dann soll es am Freitag um 18:30 Uhr zum Stadion gehen.
Wie immer steht Peter Neururer pünktlich vor dem Hotel. Der Mannsehaftsbus ist nicht zu sehen. Dem Trainer schwillt der Kamm, denn der Fahrer hat sich schon einen Monat zuvor beim Auswärtsspiel in Düsseldorf verfahren. Eine Dreiviertelstunde hat er seinerzeit benötigt, um die Mannschaft vom Flughafen ins gerade mal sechs Kilometer entfernte Rheinstadion zu bringen. Erhöhtes Verkehrsaufkommen war als Entschuldigung ausgefallen, tatsächlich hat es auch in Düsseldorf so gut wie niemand gegeben, der Hertha BSC Berlin spielen sehen wollte. Neururer hat sich geschworen, dass er den Busfahrer bei der nächsten Minderleistung feuern lässt-also jetzt: Denn der Mann und sein Gefährt sind auch um kurz nach 18:30 Uhr nicht in Sichtweite.
Wieder ist es Uwe Rahn, den Neururer zu greifen bekommt.
»Uwe, der Bus ist nicht da. Ich hab so einen Hals.«
»Wieso, Trainer, da steht er doch«, sagt Rahn, »der da«, und deutet auf die Straßenseite gegenüber dem Hotel.
Neururer kann keinen Mannschafts-, sondern lediglich einen ganz normalen Linienbus erkennen. Er weiß, dass Rahn ihm schon beim Panzervorfall die Wahrheit gesagt hat, also wird auch das stimmen. Unfassbar: Der Erstligist Hertha BSC Berlin reist zum Heimspiel gegen den Hamburger SV mit einem Linienbus an.
Auf der zum Olympiastadion führenden Heerstraße hat sich ein Stau aus unbekannten Gründen gebildet, denn auch in Berlin will zu dieser Zeit eigentlich so gut wie niemand Hertha spielen sehen müssen. Der Bus mit der Mannschaft gerät in diesen Stau, und wie der Zufall es so will, kommt er an einer offiziellen Haltestelle der Berliner Verkehrsbetriebe zum Stehen. Draußen strömen die Leute auf den Bus zu, woher sollen sie auch wissen, dass dies längst kein normaler Linienbus mehr ist. Der total aufgebrachte Neururer brüllt den Fahrer an: »Freund, wenn du jetzt die Türen aufmachst, dann gibt es richtig Ärger!« Der Fahrer folgt der Anweisung des Trainers. Damit ist das Schlimmste erst einmal verhindert, denkt Neururer. Schließlich löst sich der Stau auf, die Anreise zum Stadion kann fortgesetzt werden.
Der Bus nähert sich dem Theodor-Heuss-Platz, um dort auf die Reichsstraße einzubiegen, als ihm der offizielle Mannschaftsbus des Hamburger SV entgegenkommt, der an dem Kreisverkehr offenbar die falsche Ausfahrt genommen hat. Natürlich können die Hamburger nicht damit rechnen, dass in dem ihnen entgegenkommenden Linienbus der Gegner des heutigen Bundesliga-Abends Platz genommen hat. Hertha-Torhüter Walter Junghans scherzt noch: »Theo-dor-Heuss-Platz. Alle nachlösen, bitte.« Neururer erteilt die Anweisung: »Jungs, Kragen hochklappen. Bloß nicht, dass die Hamburger uns hier drin erkennen - die lachen sich ja tot.«
Als die Hertha-Mannschaft schlussendlich am Olympiastadion ankommt, faltet Neururer erst einmal Manager Reinhard Roder zusammen:
»Hast du sie eigentlich noch alle auf dem Zaun, Reinhard? Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein, uns hier im Linienbus zum Ligaspiel anreisen zu lassen! Wir machen uns doch lächerlich! Und was sagen unsere Sponsoren überhaupt dazu?«
Roders Antwort fallt kreativ aus: »Peter, du regst dich aber auch über jeden Scheiß auf. Der Bus hat vier Reifen, das langt doch, oder?«
An überraschenden Ideen mangelt es Roder auch in der Folgezeit nicht. Im Angesicht des Abstiegs bietet er Neururer eine Vertragsverlängerung an. Der Trainer soll in der Zweiten Liga eine neue Mannschaft aufbauen, mit der dann der sofortige Wiederaufstieg angepeilt werden kann. Doch nach all den Dingen, die Neururer in der vergleichsweise kurzen Zeit mit Roder erlebt hat, erteilt er dessen Offerte eine klare Absage. Er hat bereits Gespräche mit den Verantwortlichen beim 1. FC Saarbrücken geführt, man ist sich für die kommende Spielzeit handelseinig geworden. Die Berliner sind von dieser Entscheidung nicht gerade begeistert.
Am viertletzten Spieltag der Saison 1990/91 muss Hertha beim FC Bayern München ran, der sich als Tabellenzweiter ein Titelrennen mit dem Überraschungsteam aus Kaiserslautern liefert. Hertha spielt recht ordentlich, kann die i:o-Führung durch ein Tor von Sven Kretschmer sogar ausgleichen. Auf der Bank springen alle aus dem Hertha-Tross vor Freude auf. Nur Neururer nicht.
»Ey, Trainer, was ist denn mit dir los«, ruft Betreuer und Hertha-Kultfigur Nino di Martino, »freust
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