Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
besetzten Team: Im Tor steht Andy Köpke, in der Abwehr spielen Marco Kurz, Thomas Brunner, Rainer Zietsch, Reinhold Hintermaier, im Mittelfeld Hans Dorfner und Manfred Schwabl, im Sturm Dieter Eckstein, Christian Wück und Uwe Rösler.
Saarbrücken wiederum gilt damals in der Liga zumindest in einer Hinsicht als erfolgreiche Mannschaft: im Stellen von Abseitsfallen. Bei Standardsituationen für den Gegner lässt die FCS-Abwehr dessen Stürmer dank eines im Training nachhaltig einstudierten Prozederes immer wieder gern ins Abseits laufen. Der Gegner weiß nie, wer bei den Saarländern das auslösende Kommando gibt, er kann sich also nicht auf dieses taktische Mittel einstellen.
In der Woche vor dem Spiel in Nürnberg erhält Neururer einen merkwürdigen Anruf. Am anderen Ende der Leitung meldet sich Willi Entenmann, der Trainer des nächsten Gegners. Zwar kennen sich die beiden, Neururer hat gemeinsam mit Entenmann im Herbst 1987 an der Sporthochschule in Köln die Fußballlehrerlizenz abgelegt, dennoch wundert Neururer sich. Und er wundert sich noch ein bisschen mehr, weil Entenmann ihm nach kurzem Begrüßungsgeplänkel eröffnet, dass Neururers Spieler Thomas Kristl und Michael Kostner im Falle des Klassenerhalts der Nürnberger in der kommenden Saison einen Vertrag beim »Club« erhalten. Neururer nimmt das zur Kenntnis, er steckt jetzt in einem Dillemma: Im letzten Spiel kann er nicht auf die beiden abwanderungswilligen Leistungsträgerverzichten, denn er hat keine auch nur annähernd gleichwertigen Ersatzspieler. Und für den Fall, dass er auf die beiden unter vorgeschobenen Gründen verzichten würde, muss er sich aus Bochum den Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung gefallen lassen.
Neururer hat Kristl und Kostner als Sportsmänner kennengelernt,' und so belässt er es bei einem kurzen Sechs-Augen-Gespräch, in dem er den beiden erklärt, dass er davon ausgeht, dass sie im Leben nicht auf die Idee kämen, das Spiel abzuschenken. Trotz des unfasslichen Anrufs und des Wissensvorsprungs, den Neururer genießt, will er die Saison sportlich fair zu Ende bringen.
Es ist Samstag, der 5. Juni 1986. Vor mehr als 42.000 Zuschauern geht Neururers Mannschaft im Nürnberger Stadion durch einen Treffer von Juri Sawitschew in der 20. Minute mit 1:0 in Führung. Doch in seiner Mannschaft jubelt nur der Torschütze - alle anderen Spieler zeigen keine Reaktion. Neururer versteht, was er sieht, nicht. Denn schließlich geht es ja - trotz feststehendem Abstieg - noch um die Geldprämien.
Zwei Minuten nach dem i:o für die Gäste, fällt der Ausgleich durch Dieter Eckstein nach einem Freistoß für Nürnberg. Die ansonsten perfekt funktionierende Abseitsfalle des FCS funktioniert nicht. Reinhold Hintermaier bringt den Club in der 33. Minute mit 2:1 in Führung, ehe Saarbrückens Thomas Kristl eine Minute vor der Halbzeit seinen Mitspieler Michael »Balu« Kostner anschießt und mit diesem Eigentor die Führung der Nürnberger auf 3:1 hochschraubt. Ausgerechnet Kristl und ausgerechnet Kostner. Ausgerechnet jene beiden Spieler, die in der kommenden Saison weiter in der Ersten Liga spielen können - mit Nürnberg.
Auf der Bank weiß Neururer sofort, dass dieses Eigentor keinesfalls betrügerischer Absicht, sondern Nachlässigkeit zu schulden ist. »So ein Tor kannst du nicht initiieren«, denkt er. In der 86. besorgt Thomas Brunner den 4:1-Endstand. Bochum gewinnt zeitgleich sein Heimspiel gegen den Lokalrivalen Wattenscheid 09 mit 3:1 und steigt ab.
Thomas Kristl wechselt in der kommenden Spielzeit tatsächlich nach Nürnberg, Michael Kostner nimmt indes ein Angebot des Hamburger SV wahr. Willi Entenmann wird fünf Monate später in Nürnberg entlassen, der »Club« steigt mit seinem neuen Coach Rainer Zobel in die Zweite Liga ab.
Nach der Zeit in Saarbücken kehrt Peter Neururer mit seiner Familie aus Frankreich in den Westen Deutschlands zurück. Sein Sohn Jörn wird eingeschult, die Familie lässt sich in Gelsenkirchen-Buer nieder, 500 Meter Luftlinie entfernt liegt das Parkstadion, die Heimat des FC Schalke 04. Neururer meldet sich arbeitssuchend. Sein Auftritt beim Arbeitsamt in Gelsenkirchen sorgt für großes Aufsehen -bundesweit. Denn Neururer fahrt dort in seinem Porsche-Cabrio vor, eine Geschmacklosigkeit, für die er sich später öffentlich entschuldigen wird, die aber an diesem Tag auch Neururers dem Anlass gemäße Kleidung nicht kompensieren kann: Beim Gang aufs Arbeitsamt trägt der arbeitslose Bundesliga-Trainer
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