Peter Nimble und seine magischen Augen
»Sobald mein Onkelden Thron erobert hatte, tat er so, als wäre der ganze Angriff nur ein böser Traum gewesen. Als die Erwachsenen am nächsten Tag aufwachten, war der Palast sauber, und das Frühstück stand bereit. Er behauptete, er wäre schon immer ihr König gewesen und sie seine treuen Untertanen. Die fehlenden Kinder wurden nie wieder erwähnt, und jeder, der es wagte, über sie zu sprechen, verschwand spurlos. Die übrigen Erwachsenen hatten solche Angst, dass sie sich seinen Behauptungen fügten. Nach ein paar Jahren hatten sie vergessen, dass es uns je gegeben hatte.«
»Aber wie kann das sein?«, rief Sir Tode aus. »Wie können Eltern ihre eigenen Kinder einfach vergessen ?«
»Diese Frage kann ich nicht beantworten«, sagte Simon. »Irgendwie ist es König Incarnadine gelungen, den Verstand seiner Untertanen in eine große Wolke zu hüllen. Sie glauben seine Lügen und befolgen seine Befehle ohne jeden Widerspruch.«
Peter hatte von reisenden Ärzten gehört, die Patienten in Trance versetzen konnten, indem sie eine Taschenuhr vor deren Augen hin und her schwenkten oder ihnen Magneten an die Schläfen legten, aber nichts davon schien so eine starke Wirkung zu haben wie das, was Simon beschrieb. Er dachte an die Gespräche zurück, die er beim Abendessen mit Mrs Melasse und ihren Nachbarn geführt hatte. Sie hatten alle so überzeugend in ihrer Liebe zum König geklungen. »Dafür muss es eine Erklärung geben«, sagte er laut.
Peg zuckte die Achseln. »Es funktioniert auf die gleiche Weise, wie er die Schlösser und die Glocke und alles andere im Palast kontrolliert: mit Magie.«
»Nenn es von mir aus Magie«, sagte Peter, »aber in Wirklichkeit ist es nichts anderes als ein Uhrwerk.« Das hatte ihn von Anfang an gewundert, seit er hier angekommenwar: Die Leute schienen so gut wie nichts von Wissenschaft oder Logik zu verstehen. Peter war selbst kein Genie, aber er hatte schon in seiner frühesten Kindheit begriffen, wie Zahnräder funktionierten. Doch Mrs Melasse, Peg und sogar Simon behandelten diese Dinge, als wäre es irgendein mächtiger Zauber.
»Vielleicht sind diese Vorrichtungen für jemanden aus deinem Land ganz simpel«, sagte der Rabe. »Aber hier sind sie mysteriös und vollkommen anders als alles, was wir kennen. Der König benutzt dieses ›Uhrwerk‹, wie du es nennst, um sowohl die Erwachsenen wie auch die Kinder gefangen zu halten.«
»Ich würde jederzeit mit den Erwachsenen tauschen«, sagte Peg. »Die können in Betten schlafen und essen, so viel sie wollen, während wir Kinder in den Minen versauern. Seit wir alt genug sind, um zu stehen, lässt er uns wie die Sklaven schuften, um ein riesiges magisches Ungeheuer zu bauen – «
»Uhrwerk!«, warfen Giggle und Marbles dazwischen und strahlten Peter an. Beide Mädchen schwärmten mittlerweile für den jungen Dieb.
Peg verdrehte die Augen. »Wir verbringen unser ganzes Leben damit, an einem Uhrwerk -Ungeheuer zu bauen, das sich durch den Fels fressen kann.«
»Wonach gräbt es denn?«, fragte Peter. »Nach einem Schatz?«
Sie zuckte die Achseln. »Das ist mir, ehrlich gesagt, egal. Mir ist wichtiger, dass ich am Leben bleibe. Und jetzt, wo ihr beiden aufgetaucht sein, wird das noch viel schwieriger. Der König hat die Sperrstunde verschärft, und die Affen haben angefangen, ohne Vorwarnung die Häuser der Leute zu durchsuchen. Anscheinend hat ihnen eine von den Spätzinnenetwas von einem Fremden erzählt. Das hätte ich von denen nicht gedacht.«
Peter zog sich der Magen zusammen. »Vielleicht war es ja irgendein anderer Vogel?«
»Es gibt hier keine anderen Vögel«, sagte sie.
Sowenig es ihm behagte, die Wahrheit zu sagen, konnte Peter doch nicht zulassen, dass ein unschuldiges Wesen für seine Ungeschicklichkeit büßen musste. » Ich habe es ihnen erzählt.« Er räusperte sich. »Ich wollte die Spatzen befreien, aber die Nachtpatrouille ist mir dazwischengekommen. Ich habe ihnen von einem Fremden erzählt, um sie abzulenken. Es war dunkel, deshalb haben sie wahrscheinlich geglaubt, ich wäre ein Spatz.« Er hoffte, dass die anderen diese letzte Behauptung nicht allzu genau unter die Lupe nehmen würden. »Es tut mir leid«, sagte er noch einmal.
»Na, prima«, schnaubte die Prinzessin. »Jetzt führen die Blinden die Blinden an.«
Simon erklärte: »Die Spätzinnen waren unsere Spione über der Erde. Ohne sie haben wir keine Möglichkeit zu erfahren, was Incarnadine vorhat. Außerdem vermuten wir, dass er eine
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