Peter Nimble und seine magischen Augen
heißt, dieses Wasser umkreist die Welt wie ein zurückgewiesener Liebhaber und jagt auf ewig dem Mond hinterher. Unter seiner Oberfläche liegt eine zweite Welt, angefüllt mit einem magischen Salz, das durch seine Strömungen fließt wie der Wind durch unseren Himmel. Myriaden seltsamer Wesen entstehen und vergehen in seinen Tiefen, die niemals unsere Luft atmen.« Bei der schrecklichen Vorstellung erschauerte der Rabe.
Das Mädchen nickte, obwohl sie das meiste von dem, was Simon erzählte, nicht verstand, vor allem das mit dem zurückgewiesenen Liebhaber. Doch bevor sie nach weiteren Einzelheiten fragen konnte, hallte eine metallische Stimme durch die Höhle.
»LANGKRALLE!«, tönte es aus einem Messingtrichter, der an der Felswand befestigt war. »ICH BRAUCHE DICH SOFORT IN MEINEM KÖNIGLICHEN STRATEGIE-RAUM. ES GIBT WICHTIGE DINGE ZU BESPRECHEN. GIB DEINE SCHLANGE EINEM ANDEREN WÄCHTER UND KOMM HER.«
»Das ist der König«, sagte Peter zu den anderen. Offenbar hatte Incarnadine eine Art Sprachrohr installiert, das von irgendeinem seiner Räume in die Minen führte. Peter hatte in seiner Heimatstadt ähnliche Geräte kennengelernt, die dazu verwendet wurden, Bedienstete und Untergebene herbeizurufen.
»Och, aber es ist gerade so lustig«, maulte Langkralle.
»ICH SAGTE SOFORT .«
Peter hörte, wie der Affe seine Kette auf den Boden warf und murrend in einem kleinen Tunnel verschwand. Er wusste, das Wichtigste war, die Kinder zu befreien, aber irgendetwas sagte ihm, dass es nützlich sein könnte zu belauschen, was da für »wichtige Dinge« besprochen wurden. Er wandte sich von der Prinzessin ab und nahm die Kiste mit den magischen Augen aus seinem Diebessack. Er klappte den Deckel auf, damit das goldene Paar ihren Aufenthaltsort sehen konnte – nur für den Fall, dass er schnell fliehen musste. Dann beugte er sich zu Sir Tode hinunter und flüsterte: »Ich will herauskriegen, was die beiden vorhaben. Und ich dachte mir, Sie könnten vielleicht mitkommen … Natürlich nur, wenn Sie wollen …« Ein wenig verlegen hielt er den Sack auf. »Ich könnte wirklich ein Paar Augen gebrauchen.«
»Aber selbstverständlich«, sagte der Ritter und kletterte hinein.
Peter schwang sich den Sack über die Schulter. Als er anden Rand des Vorsprungs trat, packte Peg ihn am Hemd. »Bist du verrückt?«, sagte sie. »Da geht’s schnurgerade nach unten!«
»Mach dir um uns keine Sorgen«, erwiderte er und entzog sich ihrem Griff. »Pass nur auf, dass du keinen Ärger kriegst, während wir weg sind.« Er setzte sich auf den Rand und verschwand in der Dunkelheit.
Denjenigen unter euch, die keine Diebe sind, erscheint die Kunst, über glatte Oberflächen zu klettern (das sogenannte »Spinnenklettern«) vielleicht wie Zauberei. Sie ist in der Tat eine der schwierigsten Diebestechniken, denn man muss dazu seine Finger und Zehen in die winzigsten Risse und Furchen schieben können. Und wie ihr euch sicher vorstellen könnt, wird diese Fortbewegungsweise durch Feuchtigkeit noch um Vieles schwieriger. Die Felswände waren nass und rutschig, und Peters Finger waren steif vor lauter Anspannung. Dennoch schaffte er es, langsam und leise zum Boden der Höhle hinunterzuklettern, wobei er sorgsam dem flackernden Licht der Fackeln auswich.
Neben den Minen befand sich eine weitere Höhle, die fast genauso groß war. Die Luft dort roch nach Schwefel und Sägespänen. Überall um Peter herum ertönten die typischen Klänge des Handwerks: Hammerschläge, Axthiebe, splitterndes Holz. Sir Tode spähte aus dem Sack und beschrieb, was er sah. »Das ist ein Lager. Sie haben Kanonen, Pulverfässer, Harpunen … Mit dem, was hier herumsteht, könnten sie das Königreich zehnmal einnehmen.« Er musterte den riesigen Stapel mit Masten, Planken und Ruderblättern. »Und es sieht so aus, als würden sie eine Flotte bauen … Aber wozu bauen sie Schiffe, wenn es kein Meer gibt, auf dem sie fahren können?«
Peter hörte Langkralles Stimme aus einem Gang herübertönen.Er sprach mit Incarnadine. Der Junge schlich durch die Schatten und schlüpfte hinein.
Der Raum, zu dem der Gang führte – offenbar der königliche Strategieraum –, war eine kleine, von Fackeln gesäumte Höhle. Langkralle und der König standen in der Mitte über eine Art Tisch gebeugt. Da es kein Echo gab, nahm Peter an, dass die Wände mit Teppichen behängt waren. Und tatsächlich, als er verstohlen die Hand ausstreckte, ertastete er das seidige Gewebe. Natürlich konnte
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