Peter Pan
tötete jedes Gefühl in Hook. Wenn seine Wut ihn in tausend Stücke gerissen hätte, dann wäre jedes davon auf den Schläfer niedergeprasselt.
Obgleich ein trübes Licht von der Lampe aufs Bett fiel, stand Hook im Dunkeln, und beim ersten verstohlenen Schritt vorwärts stieß er auf ein Hindernis: die Tür von Slightlys Baum. Sie füllte nicht die ganze Öffnung aus, und er hatte darüber hinweggeschaut. Als er nach der Klinke suchte, mußte er feststellen, daß sie zu tief unten saß, um sie zu erreichen. In seiner Wut schien es ihm, als ob der freche Ausdruck in Peters Gesicht sichtbar zunähme, und er rüttelte an der Tür und stemmte sich dagegen. Sollte ihm der Feind doch noch entwischen?
Aber was war das? Das Rote in seinen Augen hatte Peters Medizin entdeckt, die, leicht zu erreichen, auf einem Sims stand. Er begriff sofort, was es war, und wußte jetzt, daß der Schläfer sich in seiner Gewalt befand.
Für den Fall, daß man ihn lebend gefangennehmen sollte, trug Hook immer ein schreckliches Mittel bei sich, das er selber zusammengebraut hatte aus allen tod-bringenden Essenzen, die in seinen Besitz gelangt waren.
Die hatte er verkocht zu einer gelben Flüssigkeit, von der die Wissenschaft nichts ahnt und die wahrscheinlich das gemeinste Gift ist, das es gibt.
Fünf Tropfen davon tat er nun in Peters Tasse. Seine Hand zitterte, aber mehr vor Freude als vor Scham. Er vermied es, dabei den Schläfer anzusehen, aber nicht aus Furcht, er könnte Mitleid bekommen, sondern bloß, um zu vermeiden, daß er was verschüttete. Dann warf er einen langen hämischen Blick auf sein Opfer, drehte sich um und wand sich mühsam den Baum hinauf. Als er oben auftauchte, sah er aus wie der Geist des Bösen persönlich, der aus seinem Loch fährt. Er drückte sich den Hut verwegen auf den Kopf, legte den Mantel um und hielt sich einen Ärmel vors Gesicht, als müßte er sich vor der Nacht verstecken (er war viel schwärzer als die Nacht); dann schlich er, seltsam mit sich selber redend, durch den Wald davon.
Peter schlief weiter. Die Kerze tropfte und ging aus, und es war dunkel in der Wohnung. Aber Peter schlief weiter. Es muß schon zehn gewesen sein (nach der Kro-kodilsuhr), als er plötzlich im Bett auffuhr, geweckt von – ja was? Es war ein sanftes, behutsames Klopfen an der Tür seines Baumes.
Sanft und behutsam, aber in dieser Stille klang es unheilvol . Peter suchte mit der Hand nach seinem Dolch, und erst als er ihn gepackt hatte, rief er: »Wer ist da?«
Lange blieb es still. Dann wieder das Klopfen.
»Wer bist du?«
Wieder keine Antwort.
Er war ganz aufgeregt, und das war er für sein Leben gern. Mit zwei Schritten war er bei der Tür. Anders als Slightlys Tür füllte sie die Öffnung ganz aus, so daß er nicht auf die andere Seite gucken konnte, und der, der klopfte, konnte ihn nicht sehen.
»Ich mache nicht auf, wenn du nichts sagst«, rief Peter.
Da endlich sprach der Besucher, mit einer lieblichen Glöckchenstimme.
»Laß mich rein, Peter.«
Es war Tink, und schnell schob er den Riegel zurück.
Sie flog aufgeregt herein, mit rotem Gesicht und dreck-verschmierten Kleidern.
»Was ist los?«
»Das rätst du nicht«, rief sie und sagte, er sol e dreimal raten. »Schluß jetzt!« fuhr er sie an, und mit einem einzigen ungrammatischen Satz, so lang wie die Bänder, die ein Zauberkünstler sich aus dem Mund zaubert, erzählte sie, wie Wendy und die Jungen gefangen worden waren.
Peters Herz schlug wie wild, als er das hörte. Wendy gefesselt und auf dem dreckigen Piratenschiff! Sie, die es immer ordentlich und akkurat haben mußte.
»Ich werde sie retten«, rief er und lief zu seinen Waffen. Dabei fragte er sich, was er wohl tun könnte, um Wendy eine Freude zu machen. Er könnte seine Medizin nehmen!
Seine Hand ergriff das tödliche Gebräu.
»Nein!« schrie Tinker Bell, die gehört hatte, was Hook von seiner Tat murmelte, als er durch den Wald schlich.
»Warum nicht?«
»Sie ist vergiftet.«
»Vergiftet? Wer sollte sie vergiftet haben?«
»Hook.«
»Sei nicht albern. Wie könnte er hierher gekommen sein?«
Ach! Tinker Bell konnte das auch nicht erklären, denn nicht einmal sie kannte das dunkle Geheimnis von Slightlys Baum. Trotzdem, Hooks Worte erlaubten keinen Zweifel. Die Medizin war vergiftet.
»Außerdem«, sagte Peter, und das glaubte er selber, »bin ich nicht eingeschlafen.«
Er hob die Tasse. Keine Zeit für Worte, Zeit für Taten: Mit einer ihrer blitzschnellen
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