Peter Pan
nur ein Zeichen, daß sie die Gefangenen zum Schiff transportieren und ihn allein lassen sollten.
Wie konnte man den Transport bewältigen? Zusammengeschnürt hätte man sie abwärts rollen können wie Fässer, aber leider führte der Weg durch einen Sumpf.
Wieder meisterte Hooks Genie alle Schwierigkeiten. Er gab den Piraten zu verstehen, daß sie das kleine Haus als Transportmittel benutzen müßten. Die Kinder wurden hineingeworfen, vier starke Piraten hoben es auf ihre Schultern, die anderen humpelten hinterher und sangen den gräßlichen Piratenchor, und so zog die seltsame Prozession durch den Wald. Ich weiß nicht, ob eins der Kinder geweint hat; wenn ja, dann hat der Gesang das Weinen übertönt. Aber als das kleine Haus im Wald verschwand, kam eine tapfere (wenngleich winzige) Rauchwolke aus dem Schornstein und machte sich lustig über Hook. Hook sah das, und es erwies Peter einen schlechten Dienst. Es tilgte den letzten Funken Mitleid, der in des Piraten wilder Brust geblieben sein mochte.
Als er allein war, schlich er erst einmal zu Slightlys Baum und vergewisserte sich, ob er ihm den gewünschten Zugang verschaffte. Dann blieb er lange stehen und dachte nach. Sein berüchtigter Hut lag im Gras, eine milde Brise strich ihm durch das Haar. So dunkel wie seine Gedanken, so sanft waren seine blauen Augen, sanft wie Veilchen. Angespannt lauschte er auf jedes unterirdische Geräusch, aber da unten war alles still.
Das Haus unter der Erde war, so schien es, nichts als eine leere Behausung in der leeren Tiefe. Schlief der Junge, oder stand er am Fuß von Slightlys Baum, den Dolch in der Hand?
Es gab nur einen Weg, das herauszufinden: hinunter.
Hook ließ seinen Mantel zu Boden gleiten, biß sich in die Lippen, bis sein sündiges Blut sichtbar wurde, und stieg in den Baum. Er war ein tapferer Mann, aber einen Moment mußte er doch innehalten und sich die Stirn abwischen, die wie eine Kerze tropfte. Dann begab er sich still ins Ungewisse.
Er kam unbehelligt am Ende des Schachtes an, stand wieder still und schnappte nach Luft. Als seine Augen sich an das trübe Licht gewöhnt hatten, nahmen einige Dinge im Haus Gestalt an. Aber das einzige »Ding«, auf dem sein gieriger Blick dann ruhte – lange gesucht und endlich gefunden –, lag auf dem großen Bett. Auf dem Bett lag Peter und schlief.
Nichts ahnend von der Tragödie, die sich oben abspielte, hatte Peter einige Zeit, nachdem die Kinder fort waren, weiter fröhlich auf seiner Flöte gespielt: zweifellos ein recht kläglicher Versuch, sich selber zu beweisen, daß ihm das alles nichts ausmachte.
Dann entschloß er sich, seine Medizin nicht zu nehmen – um Wendy zu ärgern. Er legte sich aufs Bett, aber neben die Decke – um Wendy noch mehr zu ärgern. Denn sie hatte die Jungen immer unter die Decke gesteckt, weil man nie weiß, ob es in der Nacht kühl wird. Dann heulte er beinahe, aber plötzlich fiel ihm ein, wie empört sie wohl wäre, wenn er statt dessen lachte. Also lachte er frech – und schlief mitten im Lachen ein.
Manchmal hatte Peter Träume, und die waren schmerz-licher als die Träume anderer Jungen. Stundenlang konnte er sich nicht von diesen Träumen lösen, obwohl er kläglich darunter litt. Ich glaube, das hing mit dem Rätsel seiner Herkunft zusammen. Bei solchen Gelegenheiten hatte Wendy ihn immer aus dem Bett und zu sich auf den Schoß genommen. Sie beruhigte ihn ganz lieb, und dann, wenn er ruhiger war, legte sie ihn wieder ins Bett, bevor er richtig aufwachte, damit er sich nicht schämen müßte.
Aber diesmal war er sofort traumlos eingeschlafen. Ein Arm hing über die Bettkante, ein Bein war angewinkelt, und ein Teil seines Lachens war im Mund steckenge-blieben – der war offen und zeigte die kleinen Perlen. So schutzlos fand ihn Hook. Er stand schweigend am Fuß des Baums und schaute quer durchs Zimmer auf seinen Feind. Rührte kein Gefühl des Mitleids seine finstere Brust? Der Mann war nicht vollkommen schlecht; er liebte Blumen (hat man mir erzählt) und zarte Musik (er selbst spielte das Cembalo, und zwar nicht übel), und wir müssen zugeben, daß die idyllische Szene, die sich ihm bot, ihn tief bewegte. Fast wäre er seinem besseren Selbst gefolgt und widerstrebend nach oben zurückgekehrt – doch da war noch was. Was ihn festhielt, war Peters unverschämtes Aussehen im Schlaf. Der offene Mund, der herunterhängende Arm, das angewinkelte Knie: All das war eine einzige Verkörperung von Frechheit. Der Anblick
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