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Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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wirklich nicht erwartet.« Nach einer weiteren Pause sagte er noch: »So, so! Ganz unerwartet kommt es … Es ist schon so eine Sache …« Er wollte eigentlich nach Hause, ging aber in einer ganz verkehrten Richtung. Unterwegs streifte ein Kaminkehrer seine Schulter, die nun ganz schwarz wurde; von einem Neubau fiel ihm eine ganze Ladung Mörtel auf den Kopf. Er sah und hörte nichts und kam erst dann einigermaßen zur Besinnung, als er gegen einen Polizeisoldaten anprallte, der seine Hellebarde zur Seite gestellt hatte und gerade im Begriff war, eine Prise Schnupftabak zu nehmen.
    »Was rennst du einem in die Schnauze hinein?« schrie ihn dieser an. »Kannst du denn nicht auf dem Trottoir gehen?«
    Diese Bemerkung rüttelte ihn auf; er kehrte um und war bald zu Hause. Hier sammelte er seine Gedanken und überblickte mit klarem Auge die Lage; er setzte sein Selbstgespräch fort, aber nicht mehr in abrupten Ausrufen, wie vorhin, sondern in vernünftigen Sätzen, wie man mit einem klugen Freunde über eine intime Angelegenheit spricht:
    »Mit dem Petrowitsch kann man ja jetzt gar nicht reden; er ist wohl etwas … Seine Frau hat ihn offenbar vorhin geprügelt. Ich will ihn lieber noch einmal, und zwar Sonntag früh, aufsuchen: da wird er noch vom Samstag abend etwas verkatert sein und sich stärken wollen; die Frau wird ihm aber kein Geld hergeben; wenn ich ihm da ein Zehnkopekenstück in die Hand drücke, wird er mit sich schon reden lassen und dann …«
    Am nächsten Sonntag machte er sich wirklich auf den Weg; er sah Frau Petrowitsch gerade das Haus verlassen und stürzte sofort die vier Treppen hinauf. Petrowitsch sah wirklich so aus, wie Akakij Akakijewitsch erwartet hatte: er war ganz verschlafen und konnte kaum den Kopf halten. Als er aber erfuhr, um was es sich handelte, wurde er wieder ganz wild.
    »Nein, daraus wird nichts. Sie müssen schon einen neuen bestellen.«
    Nun drückte ihm Akakij Akakijewitsch die zehn Kopeken in die Hand.
    »Ich danke ergebenst,« sagte der Schneider. »Ich werde für Ihr Wohl etwas zu mir nehmen; was aber den Mantel betrifft, so können Sie ganz beruhigt sein: mit ihm ist nichts anzufangen. Dafür will ich Ihnen einen ganz vorzüglichen neuen machen.«
    Akakij Akakijewitsch machte noch einen schüchternen Versuch, über die Instandsetzung des alten zu sprechen. Petrowitsch ließ ihn aber gar nicht ausreden:
    »Einen neuen will ich Ihnen gern machen und werde mir die größte Mühe geben, Sie zufrieden zu stellen. Man könnte ihn auch nach der ganz neuen Mode machen: mit versilberten Haken am Kragen.«
    Jetzt erst sah Akakij Akakijewitsch ein, daß er unbedingt einen neuen Mantel brauche, und diese Einsicht betrübte ihn außerordentlich. Wo sollte er denn das Geld hernehmen? Zu Weihnachten würde es allerdings eine Gratifikation geben, über diese Summe hatte er aber schon längst verfügt: er brauchte neue Beinkleider, schuldete dem Schuster für das Ansetzen eines neuen Oberleders zu alten Stiefeln und wollte sich noch drei Hemden und zwei jener Wäschestücke, die man in einem Buche nicht gut nennen kann, machen lassen. Kurz, die ganze Gratifikation hatte bereits ihre feste Bestimmung; selbst wenn der Direktor ihm statt der üblichen vierzig Rubel, fünfundvierzig oder gar fünfzig bewilligte, so würde auch das im Vergleich zu der nötigen Summe ein Tropfen im Meere sein.
    Petrowitsch pflegte allerdings oft einen so horrenden Preis zu fordern, daß selbst seine Frau dagegen protestierte: »Bist du denn verrückt? Manchmal arbeitest du ganz umsonst und jetzt verlangst du einen Preis, den du selbst nicht wert bist!«
    Es war also zu erwarten, daß Petrowitsch seine Forderung auf achtzig Rubel herabsetzte; wo aber die achtzig Rubel hernehmen? Die Hälfte davon wäre noch aufzutreiben gewesen, sogar etwas mehr als die Hälfte; wo aber die andere Hälfte hernehmen? – Hier muß der Leser erfahren, wo Akakij Akakijewitsch die erste Hälfte hernehmen wollte. Von jedem ausgegebenen Rubel pflegte er nämlich eine halbe Kopeke in eine Sparbüchse zu tun. Am Ende eines jeden Semesters nahm er die Kupfermünzen heraus und wechselte sie gegen Silber um. So machte er es seit vielen Jahren, und die ersparte Summe betrug nun etwas über vierzig Rubel. Die Hälfte war also vorhanden. Es fehlten aber noch immer vierzig Rubel. Akakij Akakijewitsch dachte lange nach und entschloß sich endlich, ein Jahr lang seine täglichen Ausgaben aufs möglichste herabzusetzen, also abends keinen Tee

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