Pfad der Schatten reiter4
half ihr Tegan auf die Füße. Zumindest passten ihr die Schuhe. Sie hatte sich bemüht, ein bequemes Paar aus dem Haufen in Leadoras Werkstatt auszuwählen. Sie vergewisserte sich auch, dass Tegan das Korsett nicht zu eng geschnürt hatte, damit sie frei atmen konnte.
»Du siehst sehr … ähm … wüst aus«, sagte Tegan mit einem Lächeln auf den Lippen und einem schalkhaften Glitzern in den Augen.
Karigan verzog das Gesicht und bereitete sich innerlich
darauf vor, aus dem Zimmer zu treten und ihre lächerliche Erscheinung vor aller Welt zur Schau zu tragen.
Tegan öffnete die Tür und verkündete mit einer eleganten Geste: »Und hier ist sie endlich: Ihre Hoheit Königin Wüstina!«
Die Reaktion der draußen versammelten Reiter war ziemlich genau das, was Karigan erwartet hatte: ein Riesengelächter und viele Witze.
»Doch nicht etwa Königin Wüstina die Wahnsinnige?«, rief Yates, der in der Menge an vorderster Front stand. »Wo sind denn Eure Schmusekätzchen?«
Karigan schlug ihm mit einem zusammengefalteten Fächer, der Teil des Kostüms war, auf die Schulter. Yates grinste ohne jede Zerknirschung.
Irgendjemand miaute, und einige Reiter fielen ein, bis ein ganzer Chor von Katzenstimmen erklang.
»Macht nur weiter so«, warnte Karigan, »und die wahnsinnige Königin Wüstina wird wirklich durchdrehen.«
»He, wo ist denn Euer Gatte?«, rief jemand von hinten. Karigan erkannte Fergals Stimme. »Wie ich höre, ist er ein wahrer Hengst!«
Darauf folgte noch mehr brüllendes Gelächter.
»Ich bin ein wandelndes Wortspiel geworden«, brummte Karigan.
»Das sein Herz auf dem Ärmel offen zur Schau trägt«, erinnerte sie Tegan.
Karigan wusste, dass sie das Kostüm hätte ablehnen sollen, aber sie war verzweifelt gewesen. Das Schauspiel Königin Wüstina die Wahnsinnige war eine Farce über eine despotische Königin. Im ersten Akt gab es ein Lied, und Tegan kannte einige Strophen davon:
Königin Wüstina hat einundzwanzig Katzen.
Die tragen Hüte und fressen ’nen Batzen.
Wüstina die Wahnsinnige hat als Ehemann ein Pferd,
Und als Untertanen Mäuse, die regiert sie ganz verkehrt …
Danach kam eine Strophe darüber, dass die Katzen die Mäuse ständig fraßen, gefolgt von einer vulgären Strophe über die Königin und ihren Hengst-Ehemann. Karigan hörte mit Entsetzten, dass Yates nun diese Strophe zur Erheiterung aller Anwesenden rezitierte.
»Er hieß sie Aufsteigen und …«
Karigan schlug ihn noch fester mit dem Fächer.
»Aua«, sagte er und rieb sich den Kopf.
»Komm, Tegan«, sagte Karigan. »Ich habe genug von diesen kleinen Mäusen.«
Zur Antwort erklangen gutgelaunte Buhrufe.
Während sie und Tegan den Reiterflügel verließen, überlegte sie, dass das Schauspiel, obwohl es eine Farce war, einen ernsten Hintergrund besaß. Tegan hatte erklärt, dass das Stück auf einer wirklichen Person basierte, die in längst vergangenen Zeiten gelebt hatte, bevor Sacoridien einen Hochkönig gehabt hatte. Damals waren die sacoridischen Klans lediglich Stämme gewesen, die weit über diverse Gebiete verstreut gelebt hatten, und die Klanhäuptlinge hatten über ihre winzigen Territorien geherrscht wie Kleinkönige. Geschichtlichen Überlieferungen zufolge führten sie ständig gegeneinander Krieg.
Ein Klan hatte eine Frau zum Häuptling ernannt, was in jenen Tagen ungewöhnlich war. Ihre Herrschaft erwies sich als brutal, und sie brachte ihr Land an den Rand des Ruins, indem sie ihre Schätze und Pferde höher schätzte als ihre Untertanen. Es gab einen Aufstand, und das Volk enthauptete sie, oder man tat ihr noch Schlimmeres an, je nachdem, wer die Geschichte erzählte. Viele wahre Begebenheiten waren im Nebel der Vergangenheit versunken, aber das Stück diente als Warnung für mächtige Menschen, ihre Macht gut und weise
einzusetzen. Im letzten Akt des Schauspiels wurde Königin Wüstinas Ehemann aus einem Pferd in einen gut aussehenden Krieger verwandelt, der sie umbrachte. Die Mäuse fraßen gemeinsam ihre Leiche auf.
Karigan überlegte, ob das Stück nicht eher eine spezifische Warnung für Frauen sein sollte, die es wagten, die Macht ergreifen zu wollen, geschrieben von Männern, die den bloßen Gedanken, von Frauen beherrscht zu werden, nicht ertrugen. Tegan sagte, dass das Stück während Königin Isens Regierungszeit wieder an Beliebtheit gewonnen hatte, obwohl diese keinerlei Neigung zur Tyrannei gehabt hatte.
Der Weg zum Ballsaal war lang, und Karigan fing mehr als einen
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