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Pfad der Schatten reiter4

Pfad der Schatten reiter4

Titel: Pfad der Schatten reiter4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: britain
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sich geradezu schmerzhaft danach, diejenige zu sein, die in den Armen des Königs tanzte, die sich in solcher Harmonie mit ihm bewegte, die seine ganze Aufmerksamkeit fesselte, wie Estora dies tat.
    Verglichen mit ihr bin ich nichts, dachte Karigan. Sie schämte sich ihres Königin-Wüstina-Kostüms und bedauerte sogar ihren bürgerlichen Status, was in ihrem Leben höchst selten vorkam. Er verdient Estora, nicht mich. Sie ist eine wahre Königin.
    Als andere Paare die Tanzfläche betraten, riss Karigan ihren Blick von dem Paar los. Sie musste damit aufhören. Sie musste aufhören zu träumen, zu fantasieren und zu betrauern, was war, denn das alles tat ihr nur weh. Sie und Zacharias, König Zacharias, würden niemals ein Paar sein.
    Karigan beschloss, den Schmerz beiseitezuschieben, indem sie den mit Speisen beladenen Tischen ihre volle Aufmerksamkeit zuwandte, obwohl sie keinen Appetit mehr hatte. Sie drehte der Tanzfläche den Rücken zu und stieß in ihrer Eile fast mit einem der Akrobaten zusammen. Er trug ein hautenges schwarzes Kostüm. Als sie seine Maske sah, stockte ihr der Atem, und sie stolperte zurück, denn es waren ihre eigenen Züge, die ihren Blick erwiderten. Die Maske war ein Spiegel, in einer ovalen Form aus hochwertigem Silber gearbeitet, die das Gesicht des Akrobaten bedeckte. Die Maske hatte weder Augen- noch Mundöffnungen und nicht einmal eine Nase, wodurch sie völlig unmenschlich wirkte, seltsamer als alles, was Karigan an diesem Abend bis jetzt gesehen hatte.
    Die konvexe Form der Maske verzerrte ihr Spiegelbild, und darin sah Königin Wüstina tatsächlich wahnsinnig aus.
    Beunruhigt wandte Karigan ihren Blick ab. »Entschuldigung«, murmelte sie, aber als sie versuchte, an dem Akrobaten
vorbeizugehen, stand er ihr erneut im Weg und zwang sie unvermittelt, noch einmal ihr Spiegelbild anzusehen.
    Aber es war nicht dasselbe Spiegelbild.
    Es hatte sich verändert, verwandelt, sodass sie nicht mehr Königin Wüstina war, sondern sie selbst, demaskiert, ohne Perücke, ohne Kostüm, nur ihr eigenes Gesicht, das sie anstarrte.
    Was? Was ist das … Sie wollte weglaufen, vor diesem Unheimlichen fliehen, aber sie konnte nicht, als würde sie durch irgendeine Beschwörung festgehalten, und sie zitterte, denn die Macht der Spiegel war ihr nicht ganz unbekannt.
    Wolken türmten sich in den Augen ihres Spiegelbildes, als würde sie in den Himmel blicken. Dann erschien etwas anderes im Spiegelbild ihrer Augen: ein Hagel von Pfeilen mit blitzenden Metallspitzen, die in einem tödlichen, abwärts gerichteten Bogen auf sie zuflogen.
    Ihr Spiegelbild in der Maske bewegte sich nicht und wankte nicht.
    Es wartete.

VISIONEN DER SPIEGELMASKE
    Karigan schenkte dem Maskenball keine Beachtung mehr; die Musik und das Geplauder wurden zu einem vagen Brummen in ihrem Hinterkopf. Die Spiegelmaske hielt sie in ihrem Bann.
    Aber bevor die tödlichen Pfeile ihr Ziel erreicht hatten, veränderte sich der Spiegel und wurde dunkler. Es war, als versuchte sie, die Schwärze der Nacht mit ihrem Blick zu durchdringen; ihr Spiegelbild war völlig verschwunden. Dann stellten sich ihre Augen allmählich um, als wäre sie wirklich irgendwo mitten in der Nacht, und sie begann, subtile Veränderungen, Gestalten und Schatten wahrzunehmen.
    Die Struktur von verfaulender Baumrinde. Ein Astknoten ragte wie eine Faust aus dem Baum, und sie konzentrierte ihren Blick darauf. Der Knoten ähnelte einem Gesicht, einem Gesicht, aus dem roter Ocker tropfte. Was war das? Wo war das?
    Der Ausschnitt wurde größer und gab die Sicht auf einen ganzen Hain solcher Bäume frei, manche Stämme von Knoten verunstaltet, andere nicht, aber alle von Fäulnis befallen. Die Dunkelheit schien unter den riesengroßen, ausladenden Ästen gefangen zu sein, und Nebel waberte zwischen den Baumstämmen.
    Das konnte nur der Schwarzschleierwald sein, der sie nun schon heimsuchte, bevor sie seine gefährliche Grenze überschritten hatte.

    Die Vision verschwand in Flammen.
    Zähe, flackernde Flammen.
    Es war, als würde sie in ein Lagerfeuer starren, aber durch das Feuer sah sie ein anderes Gesicht. Das Gesicht einer älteren Frau mit Tränensäcken unter den Augen, bleichen, ausgemergelten Wangen und dünnen grauen Haarsträhnen, die über ihre schweißbedeckte Stirn fielen. Karigan erkannte sie sofort: Großmutter. Die Anführerin der ehemaligen Sekte des Zweiten Reiches in Sacor-Stadt. Wie bei der vorherigen Vision konnte sie unmöglich entscheiden, ob es sich

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