Pfad der Schatten reiter4
sah aber nur das übliche Strahlen seines Rubins. Was hatte er denn erwartet? Ein Aufflackern der Magie? Dass sich der goldene Drache um seinen Finger wand? Er schauderte. Was auch immer ihm die Spiegelmaske gezeigt hat, real oder nicht, es war verdammt beunruhigend.
Er hätte noch länger darüber gerätselt, doch plötzlich ertönte ein Schrei auf der Mitte der Tanzfläche.
LADY ESTORAS MASKE
Lady Estora Coutre war glücklich, dass ihre Bemühungen, einen unvergesslichen Maskenball zu gestalten, von den Gästen so begeistert aufgenommen wurden. Laut der Kommentare, die sie im Vorübergehen hörte, war das Essen unvergleichlich gut, die Dekoration großartig und originell. Stets drängten sich Tänzer auf der Tanzfläche, und es machte großen Spaß zu erraten, wer sich hinter jeder Maske verbarg.
Ihr Vater mochte über die vielen Feste schimpfen, aber sie hatte den düsteren Winter und die harten, unnachgiebigen Mauern des Schlosses satt. Sie war entschlossen, Licht und Festlichkeit in ihr Leben zu bringen. Wenn sie schon den Rest ihres Lebens hier verbringen musste, wollte sie zumindest das Beste daraus machen.
Wenn sie jetzt nur Zacharias finden könnte! Sie wollte ihm etwas zeigen.
Jemand berührte ihr Handgelenk, eine Frau in einer Schwanenmaske. »Meine Herrin, welch überaus exquisiter Maskenball. Wie viele Jahre ist es her, seit es in ganz Sacor-Stadt auch nur einen einzigen gegeben hat! Ich danke Euch, dass Ihr ihn veranstaltet habt.«
Das Kompliment wärmte Estora das Herz, und fast wollte sie hüpfen wie ein kleines Mädchen, denn das Lob stammte von Lady Creen, die sich normalerweise sehr kritisch über alles äußerte, was ihrer Aufmerksamkeit wert schien.
Estora fand Colin Dovekey mit seiner blauen Augenmaske an einem der Tische, wo er einen Becher mit Punsch füllte.
»Haben Sie Zacharias gesehen?«, fragte sie ihn.
»Ich glaube, er ist hinausgegangen, um frische Luft zu schnappen«, antwortete Colin. »Darf ich Euch etwas Punsch anbieten?« Er hielt Ihr seinen Becher hin.
»Nein, danke.« Sie ließ Colin stehen, manövrierte durch den Raum und begrüßte die Gäste, an denen sie vorbeiging. Es überraschte sie kaum, dass Zacharias draußen Luft schnappen wollte. An sich amüsierte er sich auf Festen, aber hin und wieder brauchte er eine Pause und zog sich dann aus der Menge zurück.
Eine Waffe öffnete ihr eine Balkontür. Sie zitterte, als sie hinaus in die Kälte trat. Zacharias wandte sich ihr zu. Er hatte seine Maske abgenommen, und das konnte sie ihm nicht verdenken, denn sie war schwer und bestimmt unangenehm heiß.
Ihre Kostüme waren von den Legenden der Seekönige inspiriert worden. Seit Lord Amberhills Besuch und seinen Geschenken gingen ihr diese Geschichten nicht mehr aus dem Kopf, deshalb hatte sie Zacharias als einen der legendären Könige kostümiert und sich selbst als eine der Seehexen, die unvorsichtige Seeleute zu den Riffen vor den Inseln lockten und ihre Seelen und Körper gefangen nahmen.
»Zacharias«, sagte Estora. »Es ist so kalt hier draußen. Ihr werdet Euch erkälten!«
»Ach, das glaube ich nicht. Die Luft ist so erfrischend.«
»Auf jeden Fall werdet Ihr vermisst, und es gibt etwas, das Ihr sehen solltet.« Sie nahm seinen Arm und führte ihn zur Tür.
»Also gut.« Im Gehen ergriff er seine Maske, doch dann hielt er inne. Als sie sich umdrehte, um zu sehen, was los war, sah sie, wie er sich in der Dunkelheit verbeugte. Sie kniff die
Augen zusammen und entdeckte am anderen Ende des Balkons im Schatten eine Gestalt.
»Wer war denn das?«, fragte sie ihn, als sie den Ballsaal betraten.
Er gluckste. »Ich hatte soeben eine Audienz bei Königin Wüstina.«
»Königin Wüstina? Ach ja, was für ein merkwürdiges Kostüm. War sie da draußen?«
»Ja. Anscheinend ist sie ein wenig schüchtern, trotz des Kostüms.«
Estora würde später erfahren, um wen es sich handelte. Es war für Zacharias nichts Ungewöhnliches, Gespräche mit allen und jedem zu beginnen. Er hatte genauso großen Respekt vor gewöhnlichen Handwerkern wie vor Adligen, bei einem König ein bewundernswerter Charakterzug. Deshalb war sie nicht überrascht, dass er jemanden auf dem Balkon gefunden hatte, mit dem er sprechen konnte, und sie verstand, dass dieses Kostüm sein Interesse erweckt hatte, denn sie fand es ebenfalls interessant. Trotzdem war er da draußen im Dunkeln gewesen, allein mit einer unbekannten Frau …
Fast hätte sie laut aufgelacht. Spürte sie etwa ein wenig
Weitere Kostenlose Bücher