Pfad der Schatten reiter4
müde die Treppe hinauf, die aus dem Ballsaal führte. Auf dem Weg hierher hatte sie sich nur lang genug aufgehalten, um einige Austern zu probieren, die im Bauch der Schaluppe kühlten, und fand sie so frisch, als stünde sie mitten im Hafen von Corsa. Sie hatte keine Ahnung, wie das möglich war, da doch so viele Kilometer zwischen Sacor-Stadt und der nächsten Küste lagen.
Jedenfalls hatte sich nach ihrem beunruhigenden Erlebnis mit der Spiegelmaske und ihrer Enttäuschung darüber, dass sie sich König Zacharias nicht hatte zu erkennen geben können, ihre Stimmung wieder ein wenig gehoben. Vor ihrer Abreise in den Schwarzschleierwald würde sie keine Gelegenheit mehr haben, den König zu sehen. Vielleicht sogar nie wieder.
Als sie den oberen Treppenabsatz erreichte, blieb sie stehen, drehte sich um und warf einen letzten Blick auf den Maskenball. Alles schien genauso zu sein wie bei ihrer Ankunft, die Tänzer drehten sich auf der Tanzfläche, die Musik spielte, die Gespräche summten, und Gelächter drang zu ihr hinauf. Farben, Licht, Bewegung.
Ein hübsches Bild, dachte Karigan, aber ein bisschen surreal. Ein goldener Traum, an dem sie nicht teilhatte. An dem sie nie teilhaben würde. Sie entschied, dass sie sich auch nicht wünschte, daran teilzuhaben. Auf Kondor durch die Wälder zu reiten, das kraftvolle Spiel seiner Muskeln im Galopp zu
spüren, den Rhythmus seiner Hufschläge zu hören, den Wind im Gesicht zu spüren – das war real, frei von Masken und allem, was sie bedeuteten, das war der einzige Tanz, den sie brauchte.
Sie wandte sich ab und dachte an ihre gemütliche Kammer und vielleicht eine Tasse Tee, als ein Schrei sie erstarren ließ. Sie wirbelte herum, sodass die Glöckchen auf ihrer Krone bimmelten. Unten stürmte ein Mann in Rot auf den König zu, einen blitzenden Dolch in der Hand.
Es dauerte einen Moment, bis Karigans Verstand begriff, was da geschah. Ein Attentäter! »Nein!«, schrie sie.
Die Szene löste sich in Chaos auf. Bevor der Mann den König erreichte, hatten ihn schwarz gekleidete Waffen umzingelt, während die Gäste in ihrer farbigen Pracht zurückwichen. Tänzer stießen in der Verwirrung miteinander zusammen. Einige Damen fielen in Ohnmacht. Rufe und Schreie übertönten die dissonante Musik, während der Dirigent versuchte, die Musiker bei der Stange zu halten, als müssten sie auf Biegen und Brechen weiterspielen, egal was auf dem Ball passierte, und die Musiker versuchten ihrerseits verzweifelt, ihm zu folgen.
Der Attentäter schlug in dem Strudel der Waffen um sich, und seine Schreie übertönten den übrigen Lärm. »Ihr habt ihn getötet! Meinen Vater! Er starb im Exil. Ich habe kein Land, keinen Titel, nichts!« Darauf folgte noch mehr, das Karigan nicht hören konnte.
König Zacharias legte einen schützenden Arm um Lady Estora und zog sie hastig durch das Gedränge auf die Treppe zu. Mehrere Waffen lösten sich aus dem Gewühl um den Mann, um sie zu begleiten. Als sie die Treppe hinaufeilten, huschte Karigan in eine Nische hinter einer Marmorstatue des Klanführers Hiroque, um ihnen den Weg frei zu machen.
Vier Waffen, die Hände auf ihren Schwertgriffen, schritten König Zacharias und Lady Estora voran. Donal führte sie an.
Irgendwie spürte er ihre Gegenwart in der Nische, warf ihr einen schnellen Blick zu und nickte. Zu ihrer großen Überraschung befahl er ihr nicht zu gehen.
Erkennt er mich?, fragte sie sich erstaunt. Sogar in diesem Kostüm?
König Zacharias und Lady Estora folgten etwas langsamer.
»… natürlich gegen das Exil seines Vaters«, sagte König Zacharias gerade. »Und anscheinend bekam das Exil Hedric D’Ivary schlecht. Der Anschuldigung seines Sohns entnehme ich, dass der alte Mann das Leben im Norden nicht überstand.«
»Das ist nicht Eure Schuld«, sagte Lady Estora.
»Ich habe ihn dorthin geschickt.«
»Mit der Zustimmung aller anderen Lordstatthalter. Der Mann behandelte das Grenzvolk grausam. Anstatt ihnen Asyl anzubieten, ließ er zu, dass die Leute vergewaltigt, ermordet und in die Sklaverei verschleppt wurden … sogar die Kinder.«
Karigan glaubte nicht, dass sie Estora je mit solcher Leidenschaft hatte sprechen hören, und dem König ging es offenbar ebenso, denn er blieb mit einem überraschten Gesichtsausdruck auf dem Treppenabsatz stehen.
»Ihr habt gerecht gehandelt.« Estoras überzeugter Tonfall ließ keinen Widerspruch zu, und es kam auch keiner. Sie drehte sich um und betrachtete die Verwirrung unten im
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