Pfad der Schatten reiter4
Saal, genau wie Karigan nur wenige Augenblicke zuvor. Auch der König sah hinunter. Karigan hielt die Luft an und hoffte, nicht entdeckt zu werden.
»Ihr habt es mir noch gar nicht erzählt«, sagte Lady Estora mit viel leiserer Stimme.
»Was habe ich Euch nicht erzählt?«
»Was Ihr in der Spiegelmaske gesehen habt. Was Ihr wirklich gesehen habt.«
»Nichts«, antwortete er, aber sogar aus der Ecke, in der sie
sich verborgen hielt, konnte Karigan sehen, wie starr sein Gesicht geworden war.
»Bitte, seid nicht unehrlich mit mir«, sagte Estora. »Es wäre kein guter Anfang für unser gemeinsames Leben, wenn wir Dinge voreinander verbergen, bevor wir auch nur verheiratet sind. Schließlich bin ich mit Euch sehr ehrlich gewesen.«
»Das ist wahr«, antwortete der König. »Ich wollte nur nicht, dass Ihr Euch Sorgen macht.« Er zögerte, aber Lady Estora entließ ihn nicht aus ihrem Blick. »Ich habe Pfeile in der Luft gesehen. Viele Pfeile.«
»Pfeile? Was hat …«
»Ich weiß nicht, was es zu bedeuten hat«, sagte er. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein gutes Omen ist. Wollen wir weitergehen? Ich denke, dass der Ball jetzt zu Ende ist, und möchte mich nicht von Leuten aufhalten lassen, die Hunderte sinnloser Fragen stellen.«
Sie gingen den Korridor hinunter, und Karigan blieb benommen zurück und fragte sich, ob sie bei der Antwort des Königs genauso blass geworden war wie Estora.
Pfeile. Er hatte Pfeile gesehen. Sie hatte ebenfalls Pfeile gesehen. Was bedeutete das?
Drei weitere Waffen gingen vorbei und eine vierte blieb auf dem Treppenabsatz stehen und starrte sie an. Es war Fastion. Sie trat hinter der Statue hervor.
»Sie sollten zum Reiterflügel zurückkehren«, sagte er. »Es scheint, dass der Ball zu Ende ist.«
»Aber … aber der Attentäter!«
»Wir haben ihn festgenommen und alles ist in Ordnung.«
»Aber …«
»Seien Sie unbesorgt«, sagte Fastion. »Wir sind zwar Waffen, aber in erster Linie sind wir Schilde. Wir verteidigen den König mit sämtlichen Fähigkeiten, die wir besitzen, und falls nötig, werden wir für ihn sterben.«
Karigan schauderte. Seltsamerweise war sie jedoch über das, was König Zacharias in der Spiegelmaske gesehen hatte, noch aufgewühlter als durch das versuchte Attentat.
Fastion blickte über seine Schulter zurück. »Die anderen Gäste gehen jetzt.«
Die Gäste in ihren Masken und exquisiten Kostümen stiegen die Treppe hinauf, ihre Stimmen waren schrill, ihr Gelächter nervös. Fastion setzte sich in Bewegung, und Karigan eilte ihm nach.
»Fastion«, sagte sie, »wie kommt es, dass Sie und Donal mich in meinem Kostüm erkannt haben?«
»Sie waren von allen am meisten fehl am Platz, außerhalb Ihres Elements.«
Das stimmte allerdings, dachte sie.
»Außerdem sind wir mit der Art, wie Sie sich bewegen, bestens vertraut.«
»Oh«, antwortete sie betroffen.
»Wir hätten Ihnen nicht erlaubt, auf den Balkon zu gehen, wenn wir Sie nicht erkannt hätten«, fügte Fastion hinzu.
»Wie? Sie …« Aber Fastion bog in einen anderen Korridor ab und ging ohne ein weiteres Wort davon.
Warum hatten sie es ihr erlaubt, sich dort aufzuhalten? Nein, darüber wollte sie nicht nachdenken. Die Waffen hatten ihre eigenen Methoden und ihre eigenen Gründe, und sie war ein Ehrenmitglied ihrer Truppe. Das musste es gewesen sein, nur das.
Sie setzte ihren Weg zum Reiterflügel fort.
»Warum ist sie so deprimiert?« Der Stuhl knarrte unter Garths Gewicht, als er sich hinsetzte. »Sie sieht aus, als hätte sie ihren besten Hengst-ähm-Freund verloren.«
Warum, dachte Karigan, hatte außer ihr offenbar alle Welt das Stück Königin Wüstina die Wahnsinnige gesehen? Momentan
saß sie im Gemeinschaftsraum des Reiterflügels, immer noch in ihrem Kostüm, obwohl die Maske, der Fächer und die gekrönte Perücke vor ihr auf dem Tisch lagen. Garth, noch nass und schlammig von der Reise, war soeben von seinem jüngsten Botenritt zurückgekehrt. Yates und Tegan hatten gerade ihren etwas spärlichen Bericht über den Maskenball gehört. Gewisse Einzelheiten, wie ihre Visionen in der Maske und ihre Begegnung mit Lord Amberhill, hatte sie ausgelassen. Vielleicht würde sie Mara später davon erzählen, falls sie einen Augenblick für sich hatten.
»Sie hat keineswegs ihren besten Freund verloren«, sagte Yates. »Sie ist nur sauer, weil es diesmal nicht sie war, die den König gerettet hat.«
Karigan verdrehte die Augen.
»Den König gerettet?«, wunderte
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