Pfad der Schatten reiter4
anderen abgeschnitten waren. Sie waren in der Lage, die Bresche zu umgehen, aber das erforderte eine längere Reise. Er fragte sich oft, ob es sich dabei um eine illusionäre Reise handelte oder ob magische Projektionen tatsächlich die Konzepte von Zeit, Entfernung und Gefahr erlebten. Die Magier schienen zu glauben, dass dies der Fall sei, und schließlich war das das Einzige, was zählte.
Im Messezelt aß er sich an einigen Schüsseln Eintopf satt, bevor er zu seinem eigenen Zelt zurückkehrte. Als er darauf zukam, stellte er überrascht fest, dass Licht durch die Leinwand drang und aus dem Inneren eine sanfte Musik erklang.
Als er die Zeltklappe zurückschlug, entdeckte er Estral, die mit der Laute auf dem Schoß auf einem seiner Klappstühle saß, während auf seinem Tisch eine Lampe schwach brannte.
»Hallo«, sagte sie, als er eintrat.
»Hallo.«
»Ich hoffe, es macht dir nichts aus, aber in Dales Zelt war es, äh, ziemlich unruhig.«
»Unruhig?« Alton ließ sich ihr gegenüber in den anderen Stuhl am Tisch fallen. »Ich dachte, du solltest sie im Auge behalten.«
Estral schnitt eine Grimasse. »Ihr Freund Hauptmann Wallace, äh, kümmert sich um sie.«
»Hauptmann Wallace?«, fragte Alton verdutzt. »Warum sollte er sich um sie kümmern?«
»Ihr Freund Hauptmann Wallace«, betonte Estral.
Alton kratzte sich am Kopf. »Freund?«
»Mehr als ein Freund, würde ich sagen.«
»Mehr als ein…? Ach so!« Altons Wangen wurden heiß. Wie konnte er nur so begriffsstutzig sein? Er hatte nichts gemerkt … er hatte keine Ahnung gehabt.
»Wirklich«, sagte Estral, »es wäre sehr ungemütlich gewesen, wenn ich dortgeblieben wäre. Unruhig, wie gesagt. Normalerweise gehen sie in seine Hütte.«
Alton hustete. »Ich verstehe. Wallace? Wirklich?« Wie hatte ihm das nur entgehen können?
Estral nickte. »Ich wusste nicht, wo ich sonst hin sollte. Wenn es dir etwas ausmacht, gehe ich.«
»N-nein. Geh nicht hinaus in die Kälte. Wir könnten … wir könnten reden.«
Estral zupfte eine Reihe Noten auf ihrer Laute. »Das könnten wir. Worüber möchtest du denn reden?«
»Tja … ich …« Alton wühlte einige Augenblicke lang suchend in seinen Gedanken und packte schließlich das Erstbeste,
das ihm einfiel. »Über das Holzfällerlager. Über dich! Ich meine, ich würde gern mehr darüber hören. Wann bist du denn aus dem Holzfällerlager abgereist und nach Selium gegangen?«
Estral hörte auf zu spielen und runzelte die Stirn. »Als ich sechs war. Nachdem ich einen Unfall hatte.«
Alton stöhnte innerlich, weil er ein Thema angeschnitten hatte, das zweifellos schmerzhaft war. »Karigan hat etwas darüber erwähnt«, begann er zögernd.
Das schien Estral nicht zu überraschen. »Ja. Ich bin entwischt, auf dem vereisten Fluss herumgelaufen und im Eis eingebrochen. Danach wurde ich sehr krank und hatte eine schlimme Ohrenentzündung. Wahrscheinlich hatte ich Glück, dass mir nichts Schlimmeres passiert ist, dank einem der Männer, der gesehen hatte, wie ich hineinfiel und mich herauszog.«
Alton erinnerte sich, wie Karigan ihm erzählt hatte, dass Estral durch die Krankheit in einem Ohr ihr Gehör verloren hatte. Sie war eine so großartige Musikerin, dass es ihm schwerfiel, das zu glauben.
»Danach«, erklärte sie, »beschlossen meine Eltern, es sei Zeit für mich, nach Selium zu ziehen und bei meinem Vater zu wohnen. Dort war es sicherer und zivilisierter und so weiter. Seitdem habe ich dort gelebt. Bis jetzt, heißt das.«
»Vermisst du Selium?«, fragte er.
»Na ja, ich bin nicht besonders scharf aufs Reisen – ganz anders als mein Vater. Ich bin eher ein Stubenhocker. Es war also eine ziemliche Umstellung für mich, aber eine faszinierende.« Sie lächelte.
Bei diesem Lächeln wurde es Alton allzu warm. Er wandte den Blick von ihr ab. »Faszinierend, was?«
»Sehr. Es ist gut, alle Bequemlichkeit und alles, was man gut kennt, hinter sich zu lassen. Man öffnet seinen Horizont für
die Weite der Welt. Dass ihr, du und Dale und die anderen, durch Wände geht, gehört zum Beispiel zum Erstaunlichsten, was ich je gesehen habe.«
Alton vergaß oft, wie dieser Vorgang auf Menschen ohne magische Fähigkeiten wirken musste. Für die meisten Leute war es bestimmt nicht gerade etwas Alltägliches. Zu seiner Überraschung ergriff nun Estral die Initiative des Gesprächs, fragte ihn nach der Arbeit der Steinmetze und wollte wissen, wie er innerhalb der Tradition seines Klans schon in früher Jugend im
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