Pfad der Schatten reiter4
hinderte ihn nicht daran, einem anderen Mann, der oben auf dem Wagen stand, einen schweren Ballen hinaufzureichen. Dies war kein verweichlichter Händler, aber auch kein gewöhnlicher Arbeiter, sondern er strahlte Autorität aus, während er seine Leute herumscheuchte und mit ihnen scherzte. Sie gehorchten ihm und
niemand widersetzte sich ihm. Und dann war da noch etwas an diesem Mann, irgendetwas … Vertrautes.
Amberhill packte die massige Schulter eines vorbeigehenden Hafenarbeiters. »Wer ist dieser Mann?«, fragte er und wies auf den Händler.
»Ihr seid wohl nicht von hier, wie? Das ist Stevic G’ladheon, der größte Händler hier.«
Amberhill ließ den Hafenarbeiter los und grinste, denn er hielt dies für eine Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen durfte. Natürlich hatte er schon längst von Karigan G’ladheons erfolgreichem Vater gehört. Es war unumgänglich, dass jeder, der mit den Handelsgeschäften des Reiches zu tun hatte, von ihm wusste. Aber was Stevic G’ladheon nach Amberhills Meinung noch beachtenswerter machte war, dass er es aus eigener Kraft so weit gebracht hatte. Wirklich bewundernswert.
Amberhill spazierte gelassen den Kai hinunter und schob sich mühelos durch die Menge. Als er näher kam, stellte er fest, dass Stevic G’ladheon breitschultrig war und die Energie eines jungen Mannes besaß, aber ein leichter Silberschimmer an seinen Schläfen verriet sein Alter.
Amberhill fragte sich, wie er sich vorstellen sollte, und verlor sich einen Moment lang in einem Fantasiegespräch: »Woher kennt Ihr meine Tochter?« , fragte ihn der Kaufmann, und die vielen möglichen schlagfertigen Antworten amüsierten Amberhill so sehr, dass er fast laut aufgelacht hätte. Er hatte jedoch keineswegs den Eindruck, dass Stevic G’ladheon ein Mann war, mit dem sich spaßen ließ.
Gerade als er sich anschickte, den Händler anzusprechen, ertönte eine Schiffsglocke, und Yap tauchte neben ihm auf.
»Tut mir leid, Herr«, sagte Yap, »aber Kapitän Irvine ist zum Ablegen bereit, und er sagt, Ihr müsst an Bord gehen, oder er segelt ohne Euch ab.«
»Einen Moment, ich wollte gerade …«
»Passagier Amberhill!«
Amberhill warf einen Blick über die Schulter und sah den Maat, der ihn über die Köpfe der Menge hinweg finster ansah. Dann wandte er seinen Blick wieder Stevic G’ladheon zu, der ihn ebenfalls anschaute.
»Ihr seid Amberhill?«, fragte der Kaufmann.
Amberhill nickte verblüfft.
»Dann solltet Ihr wohl an Bord gehen. Kapitän Irvine hält sich streng an seinen Zeitplan, besonders da gerade die Flut ausläuft, und er wird auf keinen Nachzügler warten.«
»Ähm …«, begann Amberhill. Ein Blick zurück zum Schiff zeigte ihm, dass die Mannschaft bereit war, das Fallreep einzuholen.
»Herr?«, drängte Yap ungeduldig und zerrte ihn am Ärmel.
Amberhill wollte gern etwas, irgendetwas zu Stevic G’ladheon sagen, aber der war verschwunden – genau wie es seine Tochter immer machte. Dann entdeckte er den Kaufmann an Bord des Schiffes, bei dessen Entladung er geholfen hatte, wo er mit einem Zöllner sprach.
Was für ein verwünschtes Pech!, dachte Amberhill. Nun verpasste er die Gelegenheit, mit einem der höchstgeehrten Händler Sacoridiens und dem Vater einer rätselhaften Frau ins Gespräch zu kommen. Amberhill fragte sich, wie viel er wohl über die Macht seiner Tochter wusste, oder über geheimnisvolle schwarze Hengste, aber die Glocke ertönte noch dringlicher.
Na gut, dachte er. Hab ich die Gelegenheit eben verpasst.
Er drehte sich auf dem Absatz um und hastete über den Kai zur Ullem Königin . Das Fallreep war eingezogen worden und das Schiff entfernte sich bereits vom Kai. Er und Yap sprangen über die Kluft hinweg an Bord. Amberhill gelang das spielend, aber dem armen Yap nicht. Er baumelte von der Reling und
seine Füße tasteten Halt suchend über den Schiffskörper. Mannschaftsmitglieder packten seine Arme und hievten ihn an Deck. Von seiner Position am Steuerrad sah der Kapitän sie beide strafend an.
Amberhill schlug sich Stevic G’ladheon und alles andere, was mit seinem bisherigen Leben zusammenhing, aus dem Kopf und nahm den Hafen und den Ozean dahinter in sich auf. Er antwortete auf einen Ruf, eine Berufung, über das Meer zu segeln und hinter dem Horizont nach Geheimnissen zu suchen, und es war keineswegs gesagt, dass er je zurückkommen würde.
Am zweiten Tag der Reise wünschte sich Amberhill nichts sehnlicher, als aufs Festland
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