Pfad der Schatten reiter4
zurückzukehren. Nein, überlegte er, er wollte einfach nur sterben. Kraftlos hing er über der Reling, und seine Arme baumelten im Rhythmus der Bewegungen des Schiffes. Am besten ging es ihm, wenn er die Augen geschlossen hielt. Yap hatte ihm dringend geraten, den Horizont anzusehen, aber das hatte nicht geholfen. Auch der kandierte Ingwer nicht, den Yap ihm gebracht hatte, oder die harten Kekse und der Tee. All dies und noch mehr landete im Meer und hinterließ einen ekelhaften Geschmack in seinem Mund. Eigentlich dürfte nichts mehr in seinem Magen übrig sein, aber er spürte benommen, dass ihn der Brechreiz zu einem weiteren Schwall über die Reling zwingen würde.
Amberhill war auf dem Festland geboren und aufgewachsen, aber er hatte die Ullem Königin zuversichtlich betreten und die Brise und den Ausblick auf den Hafen Corsa genossen. Er hatte eine Schule Hafendelfine gesichtet, und Möwen, die über den Hecks der Fischerboote kreisten und nach Eingeweiden und Abfällen Ausschau hielten. Er bewunderte die Konturen eines Militärschiffes, das wie ein Degen durch die Hafengewässer schnitt, und er versuchte zu erraten, was in
den tiefen Schiffsbäuchen der Handelsschiffe geladen war. Die Ullem Königin war auf Tabak aus den Unteren Königreichen spezialisiert. Normalerweise fand er den Geruch der Tabakblätter angenehm, aber in seinem gegenwärtigen Zustand trieb ihn selbst der Gedanke an gewisse Gerüche würgend an die Reling.
Ja, es war ihm gut gegangen, bis sie eine Festungsruine passierten, die auf dem Felsvorsprung einer Insel stand und die Hafeneinfahrt überragte. Sobald sie den schützenden Hafen verlassen und die offene Bucht erreicht hatten, wurde die Dünung lebhafter, und innerhalb weniger Augenblicke verwandelte sich Amberhill von einem beherrschten, blaublütigen Herrn in einen würgenden, hinfälligen Bürgerlichen. Er hatte geglaubt, der Seekrankheit gegenüber immun zu sein. Schließlich war er Lord Amberhill, ehemals die Rabenmaske, Bezwinger hoher Mauern und Meisterdieb. Nun zeigten ihm die Götter, was sie davon hielten, indem sie ihn buchstäblich in die Knie zwangen.
Das Einzige, was zu helfen schien, war, Yaps Rat zu befolgen und an Deck zu bleiben, fern der duftenden Fracht und des Gestanks anderer seekranker Passagiere.
Amberhill stöhnte. Er hatte Yap gefragt, ob die Seekrankheit bald vorübergehen würde. Aber Yap konnte ihm lediglich sagen, dass das bei manchen Leuten so war. Und bei den anderen? Einige gewöhnten sich nie daran. Amberhill fürchtete, dass er zur letzten Gruppe gehörte.
Was Yap anging, freundete er sich mit der Mannschaft gleich an und hatte sich, wie Amberhill feststellte, angewöhnt, auf bloßen Füßen an Deck herumzulaufen. Seine Heilmittel hatten zwar nichts gefruchtet, aber er sah trotzdem oft nach seinem Dienstherrn.
Amberhill riss seine verkrusteten, salzgeränderten Augen auf, und das Chaos der Wellen hätte ihn fast wieder in einen
Abgrund der Übelkeit gestürzt, aber er bemerkte, wie der Rubin seines Drachenrings im Sonnenlicht funkelte, heller als je zuvor. Jede Facette besaß eine eigene Tönung – reiches Samtrot, der tiefe Schimmer von Wein, die Helligkeit frischen Blutes.
Als er den Rubin betrachtete, klärte sich sein Bewusstsein. Statt des wabernden Auf und Ab des Ozeans spürte er nun das solide Schiffsdeck und den unwandelbaren Horizont. Sein Verstand fing an, im Takt der Wellenbewegungen zu arbeiten, oder zumindest empfand er es so.
Eine gewisse Kraft strömte wieder in seine schlaffen Glieder. Er richtete sich auf, zunächst noch unsicher, doch dann zuversichtlich, als habe er instinktiv schon immer gewusst, wie man an Bord eines Schiffes fest auf den Beinen steht.
»Herr? Geht es Euch besser?«, fragte Yap, der mit einem Satz fast über das ganze Deck hinweg zu ihm gesprungen war.
Amberhill grinste. »Viel besser. Ich bin sogar hungrig.«
»Sehr gut, Herr. Ich sehe nach, was der Koch auf dem Herd hat.«
Yap schwankte davon and Amberhill verschränkte die Hände hinter dem Rücken und nahm den klaren Himmel und das blaugrüne Wasser erneut in sich auf. Jetzt sah die Welt schon viel besser aus. Irgendetwas an seinem Ring hatte ihn innerlich zurechtgerückt und ihm seefeste Beine geschenkt – und einen seefesten Magen.
Er fühlte sich wie neugeboren, als könnte er die ganze Welt erobern. Diese Vorstellung gefiel ihm, und er lächelte.
ÄQUINOKTIUM
Laren bemühte sich, mit Zacharias Schritt zu halten, ebenso wie sein Sekretär
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