Pfad der Schatten reiter4
Blick zu.
»Ich meine ein Maß der Zeit«, sagte Graelalea. »Die Galadheon hat nicht ganz unrecht, denn der Mond misst die Zeit, auch wenn kein Mondlicht mehr bis zu diesem Maß dringt und sein Gnomon fehlt. Wahrscheinlich haben die Telavaliether es gemacht, deren Dorf einst dort unten lag.«
Yates’ Neugier gewann die Oberhand, und es gelang ihm, sich aufzuraffen und mit seiner Chronik in der Hand herüberzukommen. Fachmännisch kopierte er das Muster, obwohl die Tinte auf dem feuchten Papier auseinanderfloss. Solan beseitigte noch mehr Moos, aber es gab sonst nichts zu sehen. Schließlich entfernten sich alle wieder, um ihren Aufgaben im Lager nachzugehen und zu Abend zu essen.
Später, als Karigan in die dunkle Enge ihres Zelts kroch, stellte sie fest, dass Yates noch immer in seiner Chronik Notizen machte.
»Brauchst du Licht?«, fragte sie und dachte an ihren Mondstein, den sie dazu verwenden konnte.
»I wo.«
»Aha.« Er benutzte seine besondere Fähigkeit, um im Dunkeln zu sehen. Auf einmal wurde ihr klar, dass er auch alles sehen konnte, wenn sie sich umzog und in das große Hemd schlüpfte, das sie gern zum Schlafen trug.
Das Kratzen der Feder auf dem Papier hielt inne, als hätte Yates ihre Gedanken genau erraten, und er sagte: »Du brauchst nicht rot zu werden. Es ist nicht so, dass an dir irgendetwas dran wäre, das ich nicht schon oft gesehen hätte. Nicht, dass ich mich nicht jedes Mal darüber freue …«
Karigans Wangen glühten, und Yates kicherte.
»Du und deine Eroberungen«, brummte sie.
»Und du stellst eine meiner größten Herausforderungen dar, denn du bist sowohl meinem Charme als auch meinem blendenden Aussehen gegenüber unempfänglich. Du gleichst einem unüberwindlichen Ozean, einem unbezwingbaren Gipfel, einem – autsch! «
Karigan hatte ihm einen Hieb auf die Schulter versetzt. Sie nahm jedenfalls an, dass es seine Schulter war. Im Dunkeln war das schwer festzustellen. Jedenfalls empfand sie es als gewaltige Befriedigung.
»Jetzt rutsch zur Seite«, befahl sie. »Du machst dich so breit, dass kein Platz mehr ist.«
Als er gehorchte, kroch sie in ihren Schlafsack.
»Was? Ziehst du dich etwa nicht um?«
»Nein«, versetzte sie, »ich bin zur zweiten Wache eingeteilt, da lohnt es sich nicht.«
»Was für eine Enttäuschung«, sagte Yates. »Aber uns bleiben noch viele gemeinsame Nächte, in denen wir …«
Sie trat nach ihm, aber diesmal lachte er nur.
Wie seltsam es war, ein Lachen zu hören, dachte sie. Es war, als hätte seit ihrem Eintritt in den Wald und besonders seit Porters schrecklichem Tod so etwas wie Gelächter gar nicht existiert.
»Was meinst du«, fragte er nach einiger Zeit, »ob die Eleter wohl in ihren Rüstungen schlafen?«
Darauf wusste sie keine Antwort – sie war nicht einmal sicher, ob Eleter überhaupt schliefen, aber sie fiel in Yates’ Gelächter ein, und als sie schließlich einschlief, war ihr so leicht ums Herz wie noch nie, seit sie den Wald betreten hatten.
EIN MASS DER ZEIT
Karigan erwachte ruckartig mit einem Grunzen, aus einem Traum gerissen, in dem eine schwarze Baumwurzel sich aus dem Boden geschlängelt und ihren Fuß gepackt hatte. Sie schrie auf.
»Karigan«, flüsterte Lynx, der durch den Zelteingang nach ihrem Fuß gegriffen hatte und ihn schüttelte.
Sie stöhnte, während die Traumfetzen davonstoben. Es musste Zeit für ihre Wache sein. Sie schälte sich aus ihrem zerknüllten Schlafsack und kroch rückwärts aus dem Zelt, wobei sie ihren Säbel hinter sich herzerrte.
»Es war verhältnismäßig ruhig«, sagte Lynx.
Ihr klägliches Lagerfeuer und der Schimmer von zwei Mondsteinen erhellten die scharfen Falten seines Gesichts. Irgendetwas heulte in der Tiefe des Waldes.
»Wie gesagt, verhältnismäßig ruhig.« Lynx grinste sie grimmig an, bevor er auf sein eigenes Zelt zusteuerte.
Die Mondsteine gehörten Lhean und Spiney. Lhean schlenderte auf der Terrasse umher und blickte hinaus in die Nacht; sie war offenbar für diese Wache eingeteilt. Spiney stand reglos da und betrachtete die Monduhr. Das Licht, das von den Kristallintarsien widergespiegelt wurde, loderte um seine Füße wie weißes Feuer.
Karigan schüttelte die letzten Reste des Schlafes ab und trat zu Spiney. Er bewegte sich nicht und schien nicht einmal zu blinzeln. In seiner weißen Rüstung glich er einer Statue.
Als sie neben ihm stand, sah die Monduhr nicht anders aus als vorher.
»Der Wald lässt nicht zu, dass das Mondlicht bis hierher
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