Pfad der Schatten reiter4
hinzu.
»DIE MASKE, GIB SIE MIR.«
Karigan schloss die Augen. Tränen strömten ihr übers Gesicht. Sie erinnerte sich an alles, was sie gesehen hatte, als sie durch die Maske geschaut hatte – all die Sterne, wie die Lichter himmlischer Wesen. Sie hatte Millionen von Strängen gesehen, wie die Eleter das nannten, manche so flüchtig wie ein leuchtender Kometenschweif, andere wie feste, leuchtende Ketten. Dies waren die Möglichkeiten und Variablen einzelner Individuen und ganzer Welten, viel zu viele, als dass sie sie hätte aufnehmen können. Sie hätte die Kontrolle übernehmen, die Stränge manipulieren, Folgen verändern, ganze Welten verändern, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verändern können.
Dies war die Ebene der Götter, und sie konnte die Maske nicht tragen. Zu viel Macht, zu viel Einfluss und Verantwortung, der Weg in den Wahnsinn.
Mornhavon musste erkannt haben, was das für eine Maske war, sobald er sie sah, und nun gierte er nach ihr. Sie wusste, dass er die Maske wie ein Marionettenspieler benutzen würde, er würde an den Fäden ziehen und die Dynamik des Universums nach seinen eigenen Wünschen verändern.
Mornhavon als Gott. Sie schauderte.
Er hatte nicht versucht, sie ihr mit Gewalt wegzunehmen. Vielleicht musste sie freiwillig weitergegeben werden, so hatte sie sie ja auch bekommen. Vielleicht lehnte sich auch irgendetwas tief in Yates’ Innerem noch immer gegen ihn auf. Sie öffnete die Augen. Er stand vor ihr. Die Ähnlichkeit mit ihrem Freund war nur oberflächlich. Schweiß strömte über sein Gesicht.
Was war noch von Yates übrig? Von ihrem Freund dem Spaßmacher, dem Frauenhelden, dem begabten Zeichner und Kartografen? Von dem Reiter, der nicht einmal den Mut verloren hatte, als er blind durch den Schwarzschleierwald gestolpert
war? Sie hatte Stränge gesehen, als sie durch die Maske spähte.
Yates …
Mornhavon als Gott.
Sie selbst als Göttin. Sie hielt die Macht dazu in der Hand.
»Du willst diese Maske?«, fragte Karigan und hielt die Maske hoch über ihren Kopf. Sie wusste, dass die Eleter bereit waren, sie mit ihren Schwertern zu durchbohren, falls sie versuchen würde, Mornhavon die Maske zu geben.
»Ja, ja. GIB SIE HER.«
Durch die Maske hatte Karigan unendlich viele mögliche Folgen dieses Augenblicks gesehen, das Verweben und Zertrennen unendlicher, strahlender Stränge. Die Entscheidung lag bei ihr, bei ihr allein. Alles kam darauf an, was sie als Nächstes tat.
»Da ist sie«, antwortete sie.
Mit aller ihr noch verbliebenen Kraft schmiss sie die Maske auf den Boden vor Mornhavons Füße. Sie zersprang in Tausende silberne Scherben. Stränge zerrissen und lösten sich auf, und das Universum stürmte davon.
EINE PEINLICHE SITUATION
Richmont war überrascht, als der Grüne Bote ihm eine Vorladung überbrachte. Seine Cousine hatte alles nur Mögliche getan, um sich ihn vom Leib zu halten, seit er in jener Nacht das Ritual des Ehevollzuges bezeugt hatte. Es machte ihm nichts aus, denn er war nach wie vor dabei, seinen Einfluss unter den Adligen weiter auszubauen. Die meisten waren dankbar, seine Bekanntschaft zu machen, denn sie wussten, dass er das Ohr der neuen Königin besaß, und dass er ihnen willkürlich jeden Gefallen erweisen oder abschlagen konnte.
Und nun trafen allmählich die Lordstatthalter ein, die von der überstürzten Hochzeit gehört hatten. Sie verlangten Audienzen bei Estora und Zacharias. Offizielle Eingaben waren abgelehnt worden, denn Zacharias war noch immer nicht wieder bei vollem Bewusstsein. Der Anschlag wurde totgeschwiegen, und allen wurde vorgegaukelt, dass sich Zacharias ausgezeichneter Gesundheit erfreute. Vorwiegend kümmerte sich Colin Dovekey um die Lordstatthalter, aber Richmont schmeichelte sich bei ihnen ein, indem er ihnen versprach, ihre Wünsche dem König und der Königin persönlich vorzutragen.
Er hatte soeben mit Lordstatthalter Adolind geredet und ihm Versprechungen gemacht, als der Bote mit der Vorladung erschien.
»Seht Ihr?«, sagte Richmont zu Adolind. »Ich kann der Königin Euer Gesuch auf der Stelle vortragen.«
Tief dankbar machte Adolind eine knappe Verbeugung. So hatte Richmont es am liebsten: Sacoridiens Mächtige standen in seiner Schuld und waren ihm dankbar. Er schlenderte gemächlich durch die Korridore des Schlosses und beschleunigte seine Schritte nicht, obwohl er neugierig war, was Estora von ihm wollte. Er gönnte ihr jedoch nicht die Befriedigung, wie ein eifriges Hündchen auf ihre
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