Pfad der Schatten reiter4
konnte.
»Sie kann so nicht weitergehen«, sagte Lynx zu den Eletern. Karigan hörte den Rest des Gespräches nicht mehr, denn sie schlief ein, wo sie gerade saß.
Sie erwachte im geisterhaften Licht des Schlosses. Irgendjemand hatte eine Decke über sie gebreitet. Lynx und Yates
schnarchten in der Nähe, aber sie hörte das singende Gemurmel der Eleter wie eine Hintergrundmusik zum Schlaf ihrer Gefährten. Sie hob den Kopf und sah drei Eleter gemeinsam mit gekreuzten Beinen auf dem Boden sitzen und sich in ihrer eigenen Sprache unterhalten.
Die Turmkammer, in der sie sich befanden, war viel größer als alle anderen, die sie durchquert hatten. Sanfte Luftströmungen berührten wie ein erfrischender Atem ihr Gesicht. Drei große Portale mit Rundbögen und mehrere kleinere Türen klafften in den runden Wänden des Raums. In der Mitte erhob sich ein riesiger, in Stein gemeißelter Baum, dessen silberne Blätter in der leichten Brise bebten und blitzten. Wurzeln senkten sich in den Boden, oder zumindest sah es so aus.
»Gefällt Ihnen der Baum?«, fragte Ealdaen, der sein Gespräch mit Telagioth und Lhean unterbrochen hatte und sie ansah.
»Er ist unglaublich«, sagte sie.
»Ein Geschenk von König Santanara, lange bevor der Krieg zu uns kam.«
»Wo sind wir hier?«, fragte Karigan.
»Im Herzen von Schloss Argenthyne, in seinem Kern, wo die Wege einander begegnen.«
Sie schob die Decke fort und zitterte in der kühlen Luft. Sie versuchte aufzustehen, aber da sowohl ihr Bein als auch ihr Handgelenk verletzt waren, gelang es ihr nicht. Mit lautlosen Schritten eilte Lhean zu ihr und half ihr auf.
»Sollten Sie sich nicht noch ausruhen?«, erkundigte er sich. »Es ist mitten in der Nacht.«
»Das werde ich auch, aber ich muss, ähm …«
»Ah, ich verstehe. Brauchen Sie Hilfe?«
Die Vorstellung, dass ein Eleter ihr dabei half, ihre Blase zu entleeren, entsetzte sie. »Äh, nein, danke«, antwortete sie.
Mithilfe des Knochenholzes hinkte sie in den nächsten Korridor
und fand dort einen Alkoven, wo sie sich erleichtern konnte. Als sie in den Raum zurückkam, spürte sie, dass der Baum sie anzog. Einige Blätter waren von den Zweigen gefallen und funkelten hell auf dem Boden. In einer Mulde zwischen dem Stamm und einer Wurzel lag ein eiförmiger Gegenstand aus Silber. Sie fühlte sich davon angezogen wie eine Krähe von einem Glitzern und näherte sich vorsichtig. Ihr Spiegelbild blickte ihr daraus entgegen.
»Das kann nicht sein«, murmelte sie.
»Was ist?«, fragte Ealdaen.
Sie fuhr zusammen, denn sie hatte nicht gehört, dass die drei Eleter sich genähert hatten.
»Was ist los?« Das war Lynx, dessen Stimme vom Schlaf ganz rau klang. Er und Yates hatten sich aufgesetzt.
»Karigan hat etwas gefunden«, antwortete Ealdaen.
Karigan hatte fast Angst davor, das Ding zu berühren, aber sie hob es dennoch auf. Eine Spiegelmaske. Sie konnte es nicht glauben. Sie lag schwer in ihrer Hand und schien in jeder Hinsicht real zu sein. Darin sah sie die Spiegelung ihres Gesichts, und die der Eleter, die ihr über die Schulter sahen, alles in der konvexen Form des Spiegels verzerrt.
»Als ich meine Wahl traf …«, begann sie. »Ich hätte nicht gedacht … ich verstehe es nicht.« Sie hatte ihnen von der weißen Welt und ihren Erlebnissen dort erzählt, bevor sie den Raum mit der Monduhr verlassen hatten.
»König Santanara hatte recht, als er den Akrobaten einen Betrüger nannte«, sagte Ealdaen. »Anscheinend haben Sie ihn zufriedengestellt. Behandeln Sie diesen Gegenstand mit größter Vorsicht.«
»Ich wollte keine der Masken«, sagte Karigan, »aber ich musste eine wählen.« Sie drehte die Maske in ihrer Hand und sah unendlich viele Spiegelungen, ein Mosaik aus silbernen Blättern, die einander bis in alle Ewigkeit widerspiegelten.
Lynx und Yates waren aufgestanden, durchquerten den Raum und kamen zu ihnen.
»Karigan kriegt immer die tollsten Sachen«, sagte Yates. »Erst das Knochenholz, und nun das.«
Karigan ignorierte ihn. »Was soll ich damit anfangen?«
»Was Sie auch damit anfangen wollen«, sagte Ealdaen wie ein Echo auf König Santanara, »treffen Sie eine weise Wahl.«
Sie war neugierig, wie das Innere der Spiegelmaske wohl aussah. Wie konnte man überhaupt durch sie hindurchsehen? Sie hatte nicht den Wunsch, sie aufzusetzen – das schien ihr allzu riskant zu sein –, aber ihre Neugier ließ sich nicht ganz bezwingen.
Als sie noch überlegte, wie sie die Maske öffnen sollte,
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