Pfad der Schatten reiter4
wach gewesen? Estora schien überhaupt nicht überrascht zu sein, dass er wach war. Sie musste es gewusst und ihn über seinen wahren Zustand im Unklaren gelassen haben. Aber wie hatte sie das gemacht? Es war eine Falle, ja, eine Falle.
»Welch wundervolle Überraschung, Eure Hoheit«, sagte Richmont, »Euch so wohlauf zu sehen.«
»Eine unangenehme Überraschung für Euch, da Ihr angedeutet habt, Ihr würdet mein Verscheiden vorziehen«, versetzte
der König. »Ich habe jedes Wort gehört, und man hat mir noch viel mehr erzählt.«
»Dann wisst Ihr ja, was geschehen würde, wenn Ihr mir irgendetwas antut. Es wäre das Ende Eurer Herrschaft.«
»Ich weiß vor allem«, sagte Zacharias streng, »dass ich Euch hiermit sämtlicher Titel und Ämter entkleide, und dies ist noch das harmloseste Urteil, das ich über Euch sprechen werde.«
Wut durchschoss Richmont, grell wie ein Blitzschlag. Er würde Zacharias stürzen, Estora würde seine Sklavin sein. Er zog einen Dolch unter seinem Umhang hervor. Er würde es ihnen zeigen. Er stellte sich bereits vor, wie er die Klinge in Zacharias’ Bauch stieß, aber bevor er irgendetwas tun konnte, packte jemand sein Handgelenk, und seine Finger wurden taub. Der Dolch fiel auf den Teppich. Graue Aschenflocken stoben von der Hand, die ihn festhielt.
Die Dienerin? Ihm drehte sich alles im Kopf. Er hatte ihre Existenz einfach ausgeblendet und vergessen, dass sie da war, wie er es bei Dienern immer tat, aber diese Frau hatte keineswegs die unterwürfige Haltung einer Bediensteten. Sie drehte ihm den Arm auf den Rücken.
»Nein!«, brüllte Richmont. »Das könnt ihr nicht tun! Ich habe Pläne gemacht, die Euch zu Fall bringen werden! Mein Leibdiener hat Briefe und wartet nur drauf, sie zuzustellen, sobald er hört, dass mir etwas zugestoßen ist. Die Information darin wird Euch vernichten. Wollt Ihr das? Wollt ihr, dass Euch die Herrschaft in Ungnade entrissen wird?«
»Richmont«, sagte Estora ruhig und fast freundlich, was bestimmt bedeutete, dass sie ihn verspottete, »darf ich Euch die Grüne Reiterin und eingeweihte Schwertmeisterin Beryl Spencer vorstellen, vormals Major Spencer, Adjutantin des Lordstatthalters Thomas Mirwell.«
Richmont zitterte. Er hatte von ihr gehört, er wusste, was
sie Thomas Mirwell angetan hatte, aber alles andere waren nur Gerüchte. Ihre Geheimnisse waren so tief verborgen, dass selbst Richmont sie nicht ergründen konnte. Nun erkannte er den Ton in Estoras Stimme – es war Mitleid.
»Sind dies die Briefe, von denen Ihr gesprochen habt?«, fragte Beryl Spencer, die hinter ihm stand. Sie hielt ihm ein Bündel Briefe unter die Nase.
Spane schnappte nach Luft, als er sein eigenes Siegel auf ihnen erkannte.
Sie zog ihn dicht an sich und flüsterte ihm ins Ohr: »Euer Leibdiener hat sich als äußerst hilfsbereit erwiesen. Ihr und ich werden viel zu besprechen haben.«
»Ich habe nichts zu sagen.«
»Wie schade.« Aber Beryls Tonfall verriet, dass sie keineswegs enttäuscht war. »Ich habe bereits eine ganze Menge Eurer Intrigen entwirrt, Eure Verbindungen und Netzwerke zerstört und viele befragt, die Ihr für loyal gehalten habt. Ich habe viele Antworten erhalten. Viel weniger Menschen, als Ihr dachtet, waren Euch tatsächlich treu ergeben. Vielleicht überrascht es Euch, aber im Allgemeinen mögen die Menschen es nicht, wenn man sie bedroht und ausbeutet, und den meisten ist Königin Estora wesentlich sympathischer als zum Beispiel Ihr.«
Ihre Stimme war sanft, liebevoll, fast melodisch. Sie jagte ihm entsetzliche Angst ein.
»Wenn wir unser Gespräch beendet haben«, fügte Beryl hinzu, »werdet Ihr mit alles gesagt haben, was ich von Euch wissen will, und dann werdet Ihr für den Mord an einem meiner Reiterkameraden zur Rechenschaft gezogen. Solange Ihr in meinen Händen seid, sind Eure Wünsche, Eure Pläne und der Rang, den Ihr einst hattet, vollkommen bedeutungslos. Und dann, wenn ich mit Euch fertig bin, werdet Ihr dem König und der Königin übergeben, und sie werden über Euch richten.«
Richmont wurde dem eisernen Griff einer Waffe übergeben. Bevor sie ihn wegführte, warf er noch einen letzten Blick in das Zimmer. Estora stand neben Zacharias’ Bett und keiner von beiden schenkte ihm die geringste Beachtung, sondern sie sahen einander an und redeten leise. Beryl Spencer ging neben ihm her und lächelte liebenswürdig.
Richmont Spane hätte am liebsten losgeheult.
Estora saß zitternd auf dem Stuhl neben Zacharias’
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