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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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Mein Mann ist – war – der vierte Sohn eines unbedeutenden Barons. Seine Brüder haben alle › Anwesen‹ geerbt, die es gab. James musste sich selbst in der Welt zurechtfinden, und er hat alles, was er besaß, in die Frances Ormund investiert. Mit unserer Ladung aus Benilles und Tenwarthanal und dem Geld für die Überfahrt, das uns ein Adliger bezahlen wollte, den wir ins Königinnenreich brachten, hätten wir irgendwo ein Haus mieten können, noch ein Schiff kaufen, noch eine Reise ausstatten. Nun bin ich ruiniert.«
    » Aber die Fracht … ich habe die Kisten gesehen, die in …«
    » Ein bisschen Gold, das ausreicht, um unsere Schulden zu begleichen. Der Rest waren Stoffe und Gewürze, die alle vom Meerwasser verdorben wurden.«
    » Aber Eure Familie …«
    » Hat mich verstoßen, als ich ihren Wünschen zum Trotz vor zehn Jahren James geheiratet habe. Und mein Bruder, der inzwischen das Familienoberhaupt ist, wird mir nur widerstrebend und geringfügig helfen. Er gehört zur alten Königin. Begreifst du jetzt, was dein Onkel angerichtet hat? Und weshalb ich deinen Anblick nicht ertragen kann?«
    Eine lange Stille entstand. Schließlich flüsterte ich: » Ja.«
    Da trat sie dichter an mich heran. Als ihre Züge deutlich wurden, bemerkte ich die traurige Verwirrung darin, und auch etwas anderes, das, was mir schon in der Hütte an ihr aufgefallen war. Diese Frau war unabhängig von ihren persönlichen Kümmernissen nicht dazu fähig, ungerecht zu handeln. Im flackernden Licht musterte sie mich ausgiebig.
    Schließlich sagte sie: » Kannst du wirklich ins Land der Toten hinübergehen?«
    » Ja.«
    » Dafür könnte man dich als Hexe verbrennen.«
    » Ja.« Mein Herz fing an zu hämmern.
    » Verbrennen ist ein schrecklicher Tod. Viel schlimmer als Ertrinken.«
    » Ja.«
    Eine weitere lange Pause entstand. Dann: » Ich sage dir, was ich tun werde. Morgen reitet ein Bote von hier zum Hof, denn alle auf Grund gelaufenen Schiffe müssen den königlichen Ratgebern gemeldet und im Amt für maritime Aufzeichnungen vermerkt werden. Ich werde dich mit ihm schicken, mit einem Empfehlungsschreiben an eine alte Dienerin von mir. Sie ist weder wichtig, noch hat sie Einfluss, aber vielleicht kann sie am Hof etwas für dich finden. Wenn du klug bist, verrätst du niemandem etwas von deiner › Fähigkeit‹ und versuchst auch nicht, sie dort einzusetzen. Das ist alles, was ich tun kann.«
    » Ich danke Euch, Herrin!« Ich war überwältigt. Niemand hatte mir je so viel Freundlichkeit entgegengebracht. Ungeschickt, weil ich es noch nie zuvor getan hatte, sank ich auf ein Knie und versuchte mich in einer höfischen Verbeugung.
    » Oh, steh schon auf«, sagte sie müde. » Du gibst einen genauso schlechten Höfling wie Gefangenen ab. Ich werde jetzt den Brief schreiben, damit ich dich niemals wieder ansehen muss. Bitte Alice darum, von unten Feder und Tinte heraufschicken zu lassen.«
    Ich öffnete die riesige Tür. Alice wartete geduldig auf der anderen Seite. Als sie die Stufen hinabhuschte, fragte ich mich, was aus ihr werden würde, wenn die Witwe Conyers tatsächlich alles verloren hatte, wie sie behauptete. Wie arm war jemand, der nach wie vor eine Dienerin nach Feder und Tinte schicken konnte? Die Armut der Witwe Conyers war nicht meine Armut.
    An ihrem Platz am Tisch, wo sie die Feder übers Papier kratzen ließ, während Alice abermals aus dem Zimmer geschickt worden war, hielt die Witwe Conyers unvermittelt inne, um zu mir aufzublicken. » Kannst du lesen?«
    » Nein, Herrin.«
    » Kannst du rechnen?«
    » Nur ein bisschen, im Kopf.«
    » Kannst du irgendetwas, das einen praktischen Nutzen hat?«
    Wenn ich Nein sagte, würde sie vielleicht ihr Hilfsangebot zurückziehen. Hektisch suchte ich nach etwas Naheliegendem, das man auch ungelernt tun konnte, wozu man aber Kraft brauchte. » Ich … ich kann mich um Wäsche kümmern, meine Lady.«
    » Wäsche? Als Junge?«
    » Ja.«
    » Nun gut.« Sie beendete ihren Brief und faltete ihn fest zusammen, da sie kein Siegel hatte. » Meine alte Dienerin heißt Emma Cartwright. Sie dient einer Hofdame von Königin Caroline.« Ihre Lippen verzogen sich zu einem traurigen, schiefen Lächeln, als eine süße, verlorene Erinnerung sie heimsuchte. » Ich habe ihr nichts über dich verraten, außer dass du willig, fügsam und stark bist.« Sie blickte mich zweifelnd an.
    » Ich bin stark, auch wenn ich nicht so aussehe.«
    » Ja. Gut. Bei Hofe wird es dir gut bekommen, wenn du dich von

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