Pfad der Seelen

ruhelosen Stampfen der Pferde durchbrochen. Ich rollte mich in einer Ecke zusammen, auf einem Haufen nicht allzu sauberen Strohs, aber ich schlief nicht mehr ein.
    Bei Dämmerung trat ein Mann aus dem Gasthaus in den Stall und stand über mir. » Bist du Roger Kilbourne?«
    » Ja.«
    Er hielt mir einen Brocken Brot und Fleisch hin. » Dann iss dein Frühstück. Wir brechen bald zum Hof auf. Pfui, Bursche, du stinkst. Wasch dich am Brunnen, sonst reitest du nicht mit mir.«
    » Ja, Sir.«
    Ich tat wie geheißen und eilte zurück zum Stall. Der Kurier hatte gerade sein Pferd gesattelt. » Zumindest machst du dem Pferd nicht mit deinem Gewicht zu schaffen, Bursche. An dir ist nichts als Knochen und Augen. Hier, zieh das an. Du kannst nicht mit diesen zerrissenen und blutigen Kleidern zum Hof, wo denkst du denn hin?«
    Es war ein Hemd aus grüner Wolle, sauber und ohne Löcher, und ich nahm an, dass es ihm gehörte. Er war genauso dünn wie ich, aber vier oder fünf Fingerbreit kleiner. Das Hemd war zu kurz, passte aber überall sonst. Beinahe überwältigt von seiner vorbehaltlosen Freundlichkeit stammelte ich: » Ich danke Euch, Sir.«
    » Ich bin kein › Sir‹, ich bin ein Kurier. Mein Name ist Christopher Beale – du kannst mich Kit nennen. Verdammt, du weißt nichts über das Leben bei Hofe, oder?«
    » Nein, Sir … Kit.«
    » Dann weiß nur der Himmel, was dort mit dir geschehen wird. Komm jetzt.«
    Er schwang sich mühelos in den Sattel, dann streckte er eine Hand zu mir herab. In Wahrheit war ich auch noch nie auf einem Pferd geritten. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich nun etliche Dinge tun musste, die ich noch nie zuvor getan hatte, deshalb packte ich seine Hand; ich kletterte halb und wurde halb gezogen, bis ich hinter ihm saß. Ich keuchte beinahe auf; wir waren so hoch oben.
    Kit drehte sich im Sattel um, um mich anzusehen. » Du bist noch nie mit jemandem geritten?«
    » N…nein.« Die Höhe war schwindelerregend; ich klammerte mich um seine Mitte.
    » Und was wirst du am Hof machen?«
    » Die W…Wäsche.«
    Er starrte mich noch einen Augenblick an, schüttelte den Kopf, und wir trabten davon. Ich hielt mich um meines lieben Lebens willen fest. Aber nach ein paar Minuten fühlte sich das Schaukeln des Pferdes zwischen meinen Oberschenkeln langsam natürlicher an, und ich verlor ein wenig – nicht ganz – die Angst davor hinunterzufallen.
    Wir ritten den ganzen Tag lang, ehe wir einen breiten Fluss erreichten. Dort gab es ein Fischerdorf, groß und wohlhabend, aber wir hielten nicht an. Kit wandte sein Pferd nach Westen: die breite, vielgenutzte Straße führte am Fluss entlang. Gleich hinter dem Dorf machten wir Halt und stiegen ab, um das Pferd trinken zu lassen. Meine Knie bogen sich nach außen, als ich zu gehen versuchte, und ich fiel beinahe hin. Kit grinste.
    » Du wirst dich dran gewöhnen. Oder vielleicht auch nicht. Die Wäsche, sagst du?«
    » Ja. Liegt … liegt der Hof an der Küste?« Ich wusste, dass dem nicht so war, aber ich wollte Kit Beale zum Reden bringen, damit ich so viel von ihm erfuhr wie nur irgend möglich. Er schüttelte den Kopf und lächelte mich überlegen an.
    Ich könnte dir etwas über das Land der Toten erzählen, und dann wärst du der Unwissende.
    Kit sagte nicht unfreundlich: » Nein, Junge, nein. Weißt du denn nicht, wie das Königinnenreich beschaffen ist, dein eigenes Heimatland? Schau her.« Er zog sein Schwert und fing an, in den Staub der Straße zu zeichnen. » Schau, hier ist die Küste. Wir sind vom Süden heraufgekommen, von der wilden Küste, kurz vor der Grenze zu den Unbeanspruchten Landen. Dieser Fluss hier« – er zeichnete ihn mit der Schwertspitze – » ist der Thymar. Der Palast befindet sich in der Hauptstadt, Gloria, auf einer großen Insel im Oberlauf des Flusses, kurz bevor der Lynmar in den Thymar mündet. Das Königinnenreich ist ein einziges, riesiges Tal. Wir sind im Süden und Westen von Bergen umgeben, im Norden von Hügeln und im Osten vom Meer. Das Tal, in dem wir uns befinden, ist flaches, fruchtbares Land. Ein leichter Ritt.«
    » Wo ist Hyrgyll?«
    » Hyrgyll? Das kenne ich nicht, aber dem Namen nach liegt es im Süden. Vielleicht in den Bergen der Unbeanspruchten Lande?«
    » Es liegt im Seelenrankenmoor.«
    Sein Blick wurde sofort kalt. » Was könntest du mit dem Seelenrankenmoor zu schaffen haben?«
    » Nichts. Ich habe nur einmal den Namen gehört.«
    » Es wird dir besser bekommen, ihn nie gehört zu haben. Das ist kein