Pfad der Seelen
hatte ich ihr nicht anvertraut. Ich sagte: » Ich muss so viel wie möglich erfahren, nur damit ich überleben kann, und trotzdem weiß ich nichts. Du bekommst in der Küche mehr zu hören, von den Dienern, die am Tisch warten, und von den Fahrern der Lastkähne, die von draußen kommen – viel mehr als ich unter den Höflingen. Sie müssen aufpassen, was sie vor der Königin äußern, und ich bin immer in der Nähe der Königin. Also sag mir bitte, bitte – weshalb sind es seltsame Zeiten?«
» Die beiden rivalisierenden Höfe im Palast können nicht ewig fortbestehen«, sagte Maggie mit leiser Stimme. » Es wird geflüstert … nun ja, es ist immer geflüstert worden. Aber mein Bruder sagte mir, dass die Gerüchte sich verdichten, sowohl in der Armee als auch in den Dörfern. Die alten Gerüchte.«
Ich erinnerte mich an Cat Starlings einfache Worte: Die Königin ist eine Hure. » Weshalb verdichten sich die Gerüchte im Augenblick? Wegen Lord Robert?«
» Nein. Naja, vielleicht ein wenig. Will, der Gemahl der Königin, war sehr beliebt, weißt du. Er war großzügig zu den Armen, und er ist durchs ganze Land gereist und hat den Leuten zugehört. Ich habe noch nicht bei Hofe gearbeitet, als er gestorben ist, aber ich erinnere mich, dass die Dörfler geflüstert haben, die Königin hätte ihn vergiftet.«
» Vergiftet? Ihren eigenen Mann? Das glaube ich nicht. Er hat ihre Herrschaft nicht bedroht.« Ich merkte plötzlich, dass das, was ich sagte, Hochverrat war. Wenn jemand uns belauschte … Aber wir waren zwei junge Bedienstete in einem kalten und verlassenen Küchenhof, neben einem Stapel Gemüsekisten und Eimern mit Schmutzwasser, und niemand sonst war da.
» Manche sagen«, fuhr Maggie fort, » dass sie schon wieder mit Lord Robert intim geworden war und deswegen ihren Gemahl loswerden wollte.«
» Weshalb heiratet sie Lord Robert jetzt nicht?«
Maggie zuckte die Schultern. » Vielleicht will sie die Macht nicht teilen, nicht einmal mit einem Gemahl. Manche sagen, dass sie auf ein besseres Heiratsbündnis wartet, einen fremden Prinzen, nachdem die alte Königin gestorben ist. Manche sagen …« Maggie hob die Laterne, blickte sich ängstlich um, und kam mit ihrem Mund dicht an mein Ohr. » Manche sagen, dass sie eine Hexe ist.«
Auf einmal passte in meinen Gedanken alles zusammen. Die Bereitschaft der Königin zu glauben, dass ich den Pfad der Seelen betreten konnte. Lord Roberts amüsierter Unglaube. Maggies Entsetzen, als ich mich in der Küche einmal erkundigt hatte, wo das Seelenrankenmoor lag. Die Witwe Conyers, die mir geraten hatte, nicht die Aufmerksamkeit der Königin zu erregen … Aber ich wusste, dass es keine Hexen gab. Ich allein wusste es mit Gewissheit. Ich hatte den Pfad der Seelen ins Land der Toten betreten, ich hatte mit den Toten gesprochen, sogar mit alten Frauen, die als Hexen verbrannt worden waren. Sie waren keine gewesen. Aber die gemeinen Leute glaubten an Hexen, und sie fürchteten sich vor ihnen, und eine Armee war aus gemeinen Soldaten aufgebaut. Niemand war abergläubischer als ein Soldat – ich hatte es immer wieder auf den Festen gesehen. Und ich wusste nur zu gut, dass eine Behauptung nur sehr wenig Wahrheit in sich tragen musste, um geglaubt zu werden.
Ich sagte langsam: » Agenten der alten Königin haben Gerüchte in die Welt gesetzt, dass Königin Caroline eine Hexe ist. Oder nicht? In der Armee, auf dem Land. Königin Eleanor hat die Flammen geschürt, hat Geschwätz und Angst vor ihrer eigenen Tochter verbreitet, um ihre Krone behalten zu können.«
» Wie sollte ich das wissen?«, flüsterte Maggie. » Aber die Armee ist so eng mit der alten Königin verbunden wie die Federn mit dem Huhn.«
Jetzt verstand ich, warum so wenige Bittsteller zu Königin Caroline kamen. Solch ein Hass und solche Intrigen zwischen Mutter und Kind! Wie anders war doch meine eigene Mutter gewesen, in ihrem violetten Kleid, so sanft und fürsorglich in den wenigen Erinnerungen, die ich an sie hatte …
» Maggie, was ist im Seelenrankenmoor?«
Aber trotz allem, was sie mir nun schon verraten hatte, gab es Orte, an die Maggie nicht gehen wollte. Sie starrte mich stumm an, und auf einmal bemerkte ich, dass die Hand, die meine hielt, eiskalt geworden war, und ihre Zähne klapperten.
» Du frierst ja! Es tut mir leid, komm zurück in die Küche. Ich kann dir gar nicht genug für deine Hilfe danken.« Ich führte sie wieder hinein. » Nur noch eines: Was ist ein ›
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